Haager Strafgericht

Haftbefehl gegen Gaddafi erlassen

27.06.2011

Gaddafi und seinem Sohn werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

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Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Haftbefehle gegen Muammar al-Gaddafi und zwei seiner engsten Verbündeten erlassen. Diese Entscheidung verkündete am Montag ein Richter des Gerichts. Dem libyschen Staatschef sowie seinem Sohn Saif al-Islam und seinem Schwager, dem Geheimdienstchef Abdullah Senussi, werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen - darunter Morde an Hunderten von Zivilisten, Folter, die Verfolgung unschuldiger Menschen und die Organisierung von Massenvergewaltigungen zur Einschüchterung der Bevölkerung. Der Haftbefehl war Mitte Mai von IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo beantragt worden, demzufolge Gaddafi persönlich Angriffe auf unbewaffnete Zivilisten angeordnet hatte.

Verpflichtung
Durch die Haftbefehle sind nun alle 116 Mitgliedstaaten des IStGH verpflichtet, den 69-jährigen Gaddafi und die Mitangeklagten als mutmaßliche Kriegsverbrecher festzunehmen, sobald sie die Möglichkeit dazu bekommen. Gaddafi hat allerdings trotz andauernder NATO-Luftangriffe erklärt, er werde in Libyen kämpfen bis zum Tod.

Gaddafi sowie sein Sohn und sein Schwager seien im strafrechtlichen Sinne persönlich für die Verbrechen verantwortlich, die zur Niederschlagung des Volksaufstandes in Libyen begangen worden seien, machte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo geltend. Er legte dem Gericht eine mehr als 70 Seiten umfassende Anklage mit mehr als 1.200 einzelnen Dokumenten vor.

 Verhandlungen erschwert?
Nach Einschätzung einiger Diplomaten in Den Haag könnten die Haftbefehle eine Verhandlungslösung erschweren. Als nunmehr offiziell gesuchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher werde Gaddafi möglicherweise nicht bereit sein, in ein Exilland zu gehen, hieß es.

   Moreno-Ocampo erklärte hingegen, es gebe keine Alternative zu einer konsequenten Strafverfolgung. "Um die Verbrechen in Libyen zu stoppen und die Zivilbevölkerung zu schützen, muss Gaddafi festgenommen werden", sagte der Chefankläger kurz vor der Bestätigung der Haftbefehle. Er hatte sie am 16. Mai beantragt.

Seite 2: Das Porträt des Chefanklägers Moreno-Ocampo:

Er stammt aus Argentinien
Angst vor großen Fischen hat der Argentinier Luis Moreno Ocampo wahrlich nicht. Als junger Vizestaatsanwalt prozessierte er Anfang der 80er Jahre gegen die Chefs der argentinischen Militärjunta, als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag setzte er 2009 einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir durch. Inzwischen hat der 59-Jährige Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi ins Visier genommen. Der IStGH folgte am Montag seinem Antrag und erließ Haftbefehl gegen Gaddafi. Einmal mehr ist Moreno Ocampo hinter einem amtierenden Staatschef her und beweist seine Leidenschaft im Kampf für Gerechtigkeit.

Moreno Ocampo hatte am 16. Mai vor dem IStGH Haftbefehl gegen Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Auch gegen dessen ältesten Sohn Seif al-Islam und den Geheimdienstchef Abdallah Senussi forderte er Haftbefehle, die am Montag ebenfalls ausgestellt wurden.

Prozess gegen Militärjunta
Seine Sporen verdiente Moreno Ocampo sich vor fast dreißig Jahren im Prozess gegen die ehemaligen Chefs der argentinischen Militärjunta. Rund 800 Zeugen wurden in dem Verfahren gegen die Diktatoren vernommen, das mit einem Schuldspruch für fünf der acht Angeklagten endete. Damals erzählte der junge Moreno Ocampo, wie seine Mutter ihn wegen seiner Rolle in dem Prozess schimpfte. Schließlich sei der starke Mann der Junta, General Jorge Videla, ein "guter Katholik" gewesen, den sie jeden Sonntag in der Messe gesehen habe. Doch davon ließ sich der Jurist nicht beeindrucken.

Selbst als UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon sich mit Verweis auf den schwierigen Friedensprozess in Darfur skeptisch zu einer Anklage gegen den sudanesischen Präsidenten Bashir äußerte, ließ Moreno Ocampo sich nicht beirren. Die Richter des IStGH erließen im März 2009 den von ihm beantragten Haftbefehl gegen Bashir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur, im Juli 2010 stellte das Gericht einen weiteren Haftbefehl wegen Völkermordes aus.

 Unermüdlich

  "Er wird nicht müde zu wiederholen, dass er den fantastischsten Beruf der Welt hat", wurde er von seiner engen Mitarbeiterin Beatrice Le Fraper beschrieben, als er den ersten Haftbefehl gegen Bashir beantragte. "Er arbeitet rund um die Uhr, er empfindet seinen Auftrag, Gerechtigkeit zu schaffen, als großes Glück", fügte sie hinzu. Dafür nimmt Moreno Ocampo private Einschränkungen in Kauf: Seine Frau und seine vier Kinder blieben nach seiner Ernennung in Buenos Aires.

Große Fische sind kleines Problem für ihn
Auch Menschenrechtsorganisationen äußerten sich in der Vergangenheit beeindruckt davon, dass Moreno Ocampo sich an die großen Fische wage. "Jetzt ist er endgültig auf der Höhe seines Jobs", sagte etwa Geraldine Mattioli von Human Rights Watch, als er den Haftbefehl gegen Bashir beantragte. Moreno Ocampo arbeitete vor seiner Berufung an den Internationalen Strafgerichtshof im Jahr 2003 bei der Weltbank und bei der unabhängigen Antikorruptionsorganisation Transparency International, er lehrte an der US-Eliteuniversität Harvard und verteidigte einst auch den umstrittenen argentinischen Fußballstar Diego Maradona.

  "Er ist ein Überzeugungstäter, sehr leidenschaftlich, aber als Idealist möchte er sicher nicht beschrieben werden", sagte Le Fraper. Als er die Rolle des Chefanklägers in Den Haag übernahm, wusste Moreno Ocampo, dass es kein leichter Job werden würde, Regierungen und Institutionen in aller Welt zur Kooperation bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern zu bewegen. Doch auch gegen Gaddafi sammelte er wieder akribisch Zeugenaussagen sowie Video- und Fotomaterial zur Untermauerung seiner Vorwürfe. Die Richter des IStGH hat er mit seinen Beweisen überzeugt.


 

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