Heftige Debatte um Erfolg der rechts-rechten AfD
29.10.2019
Deutschland diskutiert nach Thüringen-Wahl, warum so viele den Hetzer und Ausländer-Hasser Höcke wählten.
Berlin. In Deutschland herrscht großteils Fassungslosigkeit über das politische Beben nach der Thüringen-Wahl: Die AfD des rechtsaußen-Kandidaten Björn Höcke konnte sich bei der Landtagswahl 2019 in Thüringen auf 24 Prozent mehr als verdoppeln und wurde zweitstärkste Partei. Höcke holte als Spitzenkandidat ein Rekordergebnis für die AfD in diesem Bundesland.
Der Schock sitzt tief, ist Höcke rechter als es kaum geht: 2017 bezeichnete er beispielsweise das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" – ein "Fehler", wie er in einem Interview nach der Wahl sagte. Ein Jahr später etwa warnte der Ex-Geschichtslehrer in einem Buch vor dem "Volkstod durch Bevölkerungsaustausch", das reinster Nazi-Jargon ist. Außerdem fordert Höcke ein "groß angelegtes Remigrationsprojekt".
Gauland rückt Höcke in die Mitte der Partei
Mit einem Satz, nach dem Wahl-Erfolg, überraschte der deutsche AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland: Der Rechtsaußen-"Flügel" mit seinem Wortführer Björn Höcke ist künftig als Stimme der gesamten AfD zu sehen. "Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts, Herr Höcke ist die Mitte der Partei", sagte Gauland nach der Thüringen-Wahl. Die drei Landtagswahlen im Osten, bei denen "Flügel"-Kandidaten kräftig punkten konnten, verändern das Bild der Gesamtpartei.
Heftige Debatte um Erfolg der rechts-rechte AfD
Ganz Deutschland diskutiert nach Thüringen-Wahl, warum so viele den Hetzer und Ausländer-Hasser Höcke wählten. Die Kritik der Polit-Konkurrenz ließ am Wahlabend nicht lange auf sich warten. Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete Björn Höcke im TV als "Faschist". Die Medien in Deutschland greifen die Wähler in Thüringen direkt an und kritisieren diese heftig.
Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali macht zum Beispiel auf Twitter ihrem Ärger über das Wahlergebnis Luft und schießt gegen die Wähler: "leute... wer aus überzeugung einen faschisten wählt, kann das tun, hat es getan und sollteneinfach dazu stehen. aber sich jetzt hier mit „protest“ rausreden oder „aber die anderen machen keine gute politik“, das ist echt so 2015..."
Höcke hatte übrigens bereits für einen Eklat in einem ZDF-Interview gesorgt, als er dem Fragesteller "massive Konsequenzen" angedroht hatte. Was folgte, war erneut eine umfangreiche Mediendebatte.
Auch in den sozialen Medien verlaufen die Diskussionen hitzig: Erste Forderungen werden laut, die AfD aus den Parlamenten zu vertreiben.
Die Zeitung "Rheinpfalz" schreibt über das Polit-Beben: "Über 23 Prozent AfD-Stimmen wie jetzt in Thüringen, das kann nicht mehr mit dem Etikett 'Protestwahl' versehen werden. Hier verfestigt sich ein radikaler Nationalismus. Die Allmachtsfantasien eines Björn Höcke schrecken nicht ab, sondern ziehen die Wähler offenbar in Scharen an. Und doch wäre der Zulauf zur AfD nicht so groß, wären die Volksparteien (die im Osten allenfalls ehemalige sind) nicht so schwach."
"Bild" schreibt zu den Verlusten der CDU: "Die Union verspielt ihren bürgerlichen Markenkern: Wenn jetzt auch noch Stimmen laut werden, die Kooperation mit Linken und AfD ausloten zu wollen, ist sie endgültig in der Beliebigkeit angekommen. Und: verzichtbar. Den Wählern ist inzwischen offenbar fast schon egal, wohin sie von der Union abwandern. Grün, links, ganz rechts - egal. Motto: Nichts wie weg."
Vor allem aber stellen sich die deutschen Medien die Farge: "Wie konnten so viele Menschen die AfD wählen?"
Jüdischer Weltkongress fordert Verbot von Neo-Nazi-Parteien
Der Jüdische Weltkongress (WJC) hat ein Verbot von Parteien gefordert, "die Neo-Nazi-Ideologie unterstützen". Bei der Verleihung des Theodor-Herzl-Preises an Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in München sagte WJC-Präsident Ronald Lauder, 75 Jahre nach Auschwitz erhebe der alte Judenhass wieder sein Haupt. Jetzt müsse gehandelt werden.
Die AfD, die bei der Landtagswahl am Sonntag zweitstärkste Partei geworden war, erwähnte er nicht namentlich. Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, sprach von einem "erschütternden Wahlergebnis" und einem "Abgrund von Hass und Intoleranz".
Merkel ging auf Lauders Forderung nicht ein. Sie rief die Gesellschaft zum Schulterschluss gegen jede Form des Antisemitismus auf: Er richte sich "gegen alles, was unser Land trägt und zusammenhält" und zeige sich "nicht erst in Gewalttaten, sondern schon viel früher und subtiler". Es gelte, den Anfängen zu wehren.
Türkische Gemeinde tief besorgt wegen Wahlerfolgs der AfD
Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) hat das starke Abschneiden der rechtspopulistischen deutschen AfD bei der Thüringen-Wahl als Alarmsignal für Migranten gewertet. "Es wird Zeit, sich das einzugestehen: Die Menschen wählen die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer rassistischen Ideologie", erklärte TGD-Chef Gökay Sofuoglu am Montag in Berlin.
"Die Wahlen in Thüringen machen deutlich, dass Rassismus in den neuen Bundesländern mehrheitsfähig geworden ist. Das muss uns als ganze Gesellschaft aufrütteln." Die Türkische Gemeinde forderte alle Demokraten auf, sich für eine aktive Gestaltung der Migrationsgesellschaft einzusetzen. "Wir müssen deutlich machen, dass eine vielfältige und offene Gesellschaft keine Belastung ist, die durch Migration entsteht, sondern vielmehr eine Chance", erklärte Sofuoglu. Er warnte die demokratischen Parteien davor, "sich die Agenda von rechten Strömungen diktieren zu lassen".
In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Die AfD war bei der Thüringen-Wahl am Sonntag mit 23,4 Prozent zweitstärkste Partei geworden. Geführt wird der Landesverband von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke.