"Seh schon Tote"
Im Netz wurde vor Katastrophe gewarnt
25.07.2010
Tage vor der Tragödie bei der Loveparade schlug die Internet-Community Alarm.
Im Netz hatten Nutzer Wochen und Tage vor einer möglichen Katastrophe bei der Duisburger Loveparade gewarnt - teils detailliert. Auf lokalen Seiten wurden sowohl ein zu kleines Partygelände als auch der potenziell gefährliche Zugang über die von Brücken überspannte Straße kritisiert. Besonders klar geht das aus der Nachricht eines Nutzers namens "klotsche" hervor, der sich in einem Kommentar auf der Seite "DerWesten.de" äußerte. Am 7. Juni schreibt er mit Blick auf das Partykonzept:
"ich seh schon tote"
(Originalzitat:) "sehe ich das
richtig, dass die versuchen 1 million menschen über die 1-spurige!
TUNNELSTRAßE! Karl-Lehr-Straße mit zwischendurch 2 kleinen trampelpfaden
hoch zum veranstaltungsgelände zu führen? also in meinen augen is das ne
falle. das kann doch nie und nimmer gut gehen. wer in essen und dortmund
dabei war weiß, wie groß das gedränge schon auf recht weitläufigen
zugangswegen war. das war ne katastrophe und die wollen ernsthaft den zugang
über nen einspurigen TUNNEL leiten? ich fass es nicht!!!! ich seh schon tote
wenn nach der abschlußkundgebung alle auf einmal über diese mickrige straße
das gelände verlassen wollen."
Diese Nachricht - wiederholt am Donnerstag, 22. Juli - beschreibt im Nachhinein genau das Szenario vom Samstag, als tausende Menschen von Mauern eingekeilt waren und weder vor noch zurück konnten.
Warnung vor Chaos
Die drangvolle, ausweglose Enge in der
Sommerhitze ist auf zahlreichen, mit Handy-Kameras innerhalb und außerhalb
des Tunnel gedrehten Filmen zu sehen - in allen Details. Zwar war das
Funknetz total überlastet, dennoch verbreitete sich mit den Bildern nach und
nach der Schrecken - gleichfalls via Internet. Zu sehen ist etwa, wie
Menschen Böschungen hochklettern, bluten, weinen, schreien, Gitter
überklettern, einander helfen. Schnell greifen viele Fernsehsender auf das
Material zurück.
Ebenfalls am Donnerstag (22.7./16.25 Uhr) und auch bei "DerWesten.de" schrieb Nutzer "Duisburger": "Es wird das größte Chaos geben. Die Stadt wäre besser beraten gewesen die Loveparade abzusagen. Dann wäre ein paar Tage negative Presse über Duisburg in den Nachrichten zu hören-aber über diese Loveparade wird man noch lange reden-leider nur in negativer Form."
"Das geht inne Buchse"
Beide Beiträge - sie waren auch
am Sonntag online - stammen offensichtlich von Ortskundigen, ebenso wie die
Meinung von "Skydiver60": (Originalzitat:) "400000 - 500000 passen auf das
Gelände. 1-1,5 Millionen werden erwartet. Bei Überkapazität werden die Raver
nicht mehr auffs Gelände gelassen. Leute, das geht inne Buchse, definitiv.
(...) Auf das alles irgendwie gut geht. Glück Auf".
Besonders der frühe Kommentar von "klotsche" hat sich unterdessen im Netz weit verbreitet. Manche Daheimgebliebene danken ihm, andere sehen darin ein Menetekel, viele leiten daraus Vorwürfe an die Stadt Duisburg ab, andere verbreiteten den Link kommentarlos an ihre Freunde. "masamedia" twittert: "klotsche, Duisburger, Vasa49, Lover__P - man hätte auf Euch hören sollen."
OB löst Proteste aus
Besonders wütende, nicht zitierfähige
Reaktionen löste Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) aus, als
er das Sicherheitskonzept "stichhaltig" nannte und sagte, "wahrscheinlich"
seien "individuelle Schwächen" Auslöser der Katastrophe gewesen. Die
Marketinggesellschaft der Stadt Duisburg hatte vor dem Unglück einen Film
über den Zustand des Geländes am 8. Mai bei "youtube.com" eingestellt. Der
Streifen zeigt Mitarbeiter bei der Vermessung des vollkommen verwildert und
aufgelassen erscheinenden ehemaligen Güterbahnhofes voller Bauschutt und
Trümmer.
Die Homepage der Veranstalters zeigt seit Samstagabend drei Zeilen des Mitleids auf schwarzem Hintergrund, unter anderem: "Unser aufrichtiges Beileid gilt allen Angehörigen und unsere Gedanken sind bei denjenigen, die derzeit noch versorgt werden müssen."