Jordanien

Immer mehr Flüchtlingscamps in der Wüste

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Viele Schutzsuchenden in den Camps - sie wollen Zukunftsperspektiven.

In Reih' und Glied stehen sie da, die weiß getünchten Wellblechhütten. Die Einheiten des Lagers, die "Dörfer", sind nach Zahlen benannt, jedes davon ist in Blöcke unterteilt. Dazwischen liegen breite, sandig-steinige Wege. Schattige Plätze gibt es kaum, Bäume sind weit und breit nicht zu sehen. Azraq, wie andere Lager für syrische Flüchtlinge in Jordanien auch, wurde mitten in der Wüste errichtet.

Dementsprechend hart sind die Wetterbedingungen in dem vor rund eineinhalb Jahren eröffneten Camp, das rund 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Amman und etwa 50 Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt liegt. Über 50 Grad Celsius sind im Sommer keine Seltenheit, im Winter sinkt die Temperatur bis zum Nullpunkt - oder sogar darunter.

Es ist keine lebensfreundliche Gegend, der Lageralltag wirkt bei einem APA-Lokalaugenschein alles andere als lebendig - und das obwohl laut Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) knapp 25.000 Menschen bereits dort leben. Laut Mitarbeitern von CARE International kommen täglich zwischen 30 und 50 Menschen dazu. Von Rabah Sarhan, der Sammelstelle an der Grenze zu Syrien, werden die Flüchtlinge zurzeit direkt nach Azraq geschickt.

Ist der Ausbau des Camps fertiggestellt, können dort bis zu 130.000 syrische Flüchtlinge untergebracht werden. Damit soll Azraq größer werden als das Lager Zaatari, das derzeit rund 80.000 Menschen beherbergt und für die Unterbringung von bis zu 100.000 Personen konzipiert ist.

Fragt man nach den größten Unterschieden zwischen den beiden Camps, lauten die Antworten von Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisation wie CARE, dem UNHCR und der humanitären Organisation der Europäischen Kommission (ECHO) folgendermaßen: In Zaatari herrscht Chaos, in Azraq Ordnung. Ersteres ist lebendig, Zweites wirkt demgegenüber leblos. In Zaatari können die Flüchtlinge arbeiten und Geld verdienen, in Azraq sind die Menschen zur Gänze von Hilfsorganisationen abhängig. Und die Stromversorgung mache einen großen Unterschied: Während Zaatari gut mit Elektrizität versorgt ist, wird Azraq nach dem Sonnenuntergang und dem Erlöschen der letzten Solarlichter dunkel.

Als sie mit ihren fünf Kindern im Azraq-Camp vor eineinhalb Jahren angekommen ist, habe sie geweint, erzählte Fairuz gegenüber der APA. "Ich war geschockt, ich wollte so ein Leben für meine Kinder nicht." Die aus der syrischen Provinz Daraa stammende Syrerin ist zurzeit Alleinerzieherin. Ihr jüngstes Kind ist vier Jahre alt, ihr ältestes elf. Ihr Mann sei vor rund einem Jahr in Syrien festgenommen worden, seither hat Fairuz nichts mehr von ihm gehört.

Auch wenn sie glücklich über die Sicherheit für sie und ihre Kinder im Camp ist, leidet Fairuz unter der Unmöglichkeit zu arbeiten, der schlechten Stromversorgung und der völligen Abhängigkeit von Hilfsorganisationen. "Hier bemüht sich wirklich jeder, für uns zu sorgen. Aber alles ist vorgegeben und wir haben keinerlei Entscheidungsmöglichkeiten." Kurz nach ihrer Ankunft habe sie sich angemeldet, um als Freiwillige im Lager mitarbeiten zu können, bisher habe das aber noch nicht geklappt.

Hajjar und ihr Ehemann Adheeb sind mit ihren fünf Kindern seit gut einem Jahr in Azraq und bezeichnen das Leben in dem Lager als in Ordnung. "Aber wir sehen das hier nur als Übergangssituation", erklärte das aus der Umgebung von Idlib stammende Ehepaar gegenüber der APA. Sie hoffen, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. "Aber die Situation dort wird immer schlimmer, mein Land hat aufgehört zu existieren", sagte Hajjar.

"Wir sind uns bewusst, dass Jordanien für seine eigenen Kapazitäten viel zu großzügig war und wir sind den Jordaniern dankbar dafür", sagte Adheeb. Zugleich fällt ihnen das Fehlen von Perspektiven schwer. "Ich vermisse meine Ländereien und eine Arbeit", erklärte der Familienvater, der in Syrien Olivenhaine und Getreidefelder bewirtschaftete.

Während Flüchtlinge auf Möglichkeiten hoffen, ein Einkommen zu verdienen, plädieren Mitarbeiter aus dem humanitären Bereich, etwa Matteo Paoltroni von ECHO, für eine Öffnung des Arbeitsmarkts. Seiner Ansicht nach sollten die Schutzsuchenden wirtschaftlich, sozial und kulturell als Ressource und nicht als Belastung gesehen werden. Abgesehen davon, dass den Menschen durch legale Arbeitsmöglichkeiten Perspektiven eröffnet würden, entfiele dadurch auch ein wesentlicher Faktor, der laut Paoltroni für die Emigration von Flüchtlingen aus der Region verantwortlich ist.

"Es ist ein Fehler zu sagen, dass die Kürzung der Unterstützungsleistungen der einzige Faktor ist, warum die Menschen emigrieren", erklärte Paoltroni gegenüber der APA in Amman und verwies auf die radikalen Einschnitte bei der Lebensmittelhilfe und bei der medizinischen Versorgung innerhalb der vergangenen Monate. Hilfsorganisationen wie CARE sehen darin den Hauptgrund, warum sich 2015 Hunderttausende Menschen aus der Region auf den Weg nach Europa machten - und Emigration nach wie vor ein großes Thema ist. "Die Ursachen schließen den fehlenden Zugang zum Arbeitsmarkt, fehlende Perspektiven für sich selbst und ihre Kinder sowie den fehlenden Zugang zu einem menschenwürdigen Leben mit ein. Unser EU-Kommissionspräsident pflegt zu sagen: 'Stell dir vor, das wärst du'. Du kannst kein menschenwürdiges Leben haben, wenn du von Wohltätigkeit abhängig bist", so Paoltroni.

Spricht man mit Jameel Dababneh über den strukturellen Aufbau vom Lager in Azraq klingt alles gut durchdacht. "Von Zaatari gibt es einige Lektionen, die bei der Planung von Azraq miteingeflossen sind", erklärte er gegenüber der APA. Das sagte auch der Camp-Leiter vom UNHCR, Gamal Yacout.

In Azraq gibt es zentral gelegene Schulen und Kliniken, ein Spital, einen Supermarkt, eine Moschee, zwei Minibusse als öffentliche Transportmittel, Polizeistationen, Bildungsangebote und psychosoziale Dienste. Ein Friedhof ist derzeit in Bau und rund 50 Geschäfte sollen demnächst eröffnet werden - die Hälfte davon soll von Jordaniern betrieben werden, angesichts steigender Arbeitslosigkeit und Verarmung innerhalb der Aufnahmegesellschaft ist man auf Ausgleichsmaßnahmen bedacht. Dababneh arbeitet als Leiter des CARE-Teams in Azraq. Seine Organisation wurde mit der Aufgabe betraut, dort für ein funktionierendes Zusammenleben der Flüchtlinge zu sorgen und sie mit relevanten Informationen zu versorgen.

Derzeit leben laut UNHCR knapp 630.000 Syrer in Jordanien - rund 20 Prozent davon in Camps, die übrigen über das ganze Land verteilt. "Azraq ist auch der Versuch der Regierung, den Druck von den urbanen Zentren zu nehmen", erklärte Marten Mylius von CARE International in Jordanien, früherer Leiter des CARE-Teams in Azraq, gegenüber der APA in Amman. Die Überlegung beinhalte aber trotz struktureller Verbesserungen gegenüber Zaatari einen Denkfehler: "Wieso sollte all das heißen, dass sie (die Flüchtlinge) deshalb automatisch gerne abgeschieden, ohne Elektrizität oder der Möglichkeit, Geld zu verdienen, in der Wüste leben wollen?"

Den Wohnort Azraq-Camp können die Flüchtlinge zurzeit offiziell kaum wechseln. Früher galt eine vergleichsweise größere Bewegungsfreiheit für die Schutzsuchenden in Jordanien, mit Dezember 2014 wurde das sogenannte Bailout außer Kraft gesetzt, wie Yacout vom UNHCR betonte. Das heißt, dass sie ihre Wohnorte derzeit - mit wenigen Ausnahmen - nicht wechseln können. Die Flüchtlinge bekommen nur dort, wo sie registriert sind, Hilfestellung von humanitären Organisationen.

In Azraq selbst gibt es keine Unterstützung in Bargeldform, Nahrungsmittelhilfe wird auf eine elektronische Karte geladen - damit kann man im Supermarkt des Lagers einkaufen. Die Möglichkeit, um das gleiche Geld günstiger bei Bauern in der Umgebung einzukaufen, haben die Menschen laut CARE-Mitarbeitern aber nicht. Sie müssen sich demnach im um bis zu 20 Prozent überteuerten Supermarkt mit Monopolstellung versorgen, monatlich gibt es 20 Jordanische Dinar (JOD) pro Person (24,74 Euro). Verfügen die Flüchtlinge über kein mitgebrachtes Bargeld mehr, könne es mitunter schwierig werden andere Dinge, wie etwa Kleidung, zu besorgen, erklärte Mylius.

Er kritisiert diesen Umstand, und auch Paoltroni findet dafür klare Worte. "Lager sind nicht die Lösung", sagte er. "Sie sind wie ein Ghetto, wie kleine syrische Staaten in Jordanien. Es gibt keine Integration, keine Durchmischung mit der Aufnahmegesellschaft. Die von Zaatari gelernten Lektionen waren in Azraq nicht erfolgreich."

Fairuz etwa denkt ihren Kindern zuliebe an Emigration. "Ich möchte ihnen ein normales Leben bieten", sagte sie. Bei Europa sei sie aber zögerlich. Die Unterschiede bei der Lebensführung und im Schulunterricht seien ihr zu groß, das würden auch einige Freunde und Bekannte im Camp so sehen.

Für Hajjar und Adheeb käme Emigration in ein drittes Land nur infrage, wenn die siebenköpfige Familie dort gemeinsam unterkommen kann. Und hätte Adheeb noch Erspartes würde er den Weg nach Europa in Erwägung ziehen, immerhin leben in Deutschland und den Niederlanden inzwischen zahlreiche Verwandte der Familie. "Aber nach einem Jahr in Jordanien sind wir pleite. Zudem würde ich zuerst alleine nach Europa vorgehen, der Weg ist gefährlich."

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