Einen Tag nach dem Großangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel hat Israels Sicherheitskabinett am Sonntag offiziell den Kriegszustand erklärt.
Tel Aviv/Gaza. Das Sicherheitskabinett in Israel hat den Kriegszustand ausgerufen. Dies teilte am Sonntag das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit. Nach den schwersten Angriffen der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe Hamas nahm Israel den Gazastreifen massiv unter Beschuss. Dort kamen laut palästinensischen Behörden mindestens 413 Menschen ums Leben. Die Zahl der Todesopfer in Israel lag dortigen Medienangaben zufolge bei mindestens 700.
Prime Minister Netanyahu at the Security Cabinet meeting:
— Prime Minister of Israel (@IsraeliPM) October 7, 2023
"Since this morning, the State of Israel has been at war. Our first objective is to clear out the hostile forces that infiltrated our territory and restore the security and quiet to the communities that have been attacked. pic.twitter.com/9r08URjj9K
Mehr als 2.000 weitere seien verletzt worden, teilte das Pressebüro der israelischen Regierung am Sonntag auf Facebook mit. Das Gesundheitsministerium in dem Palästinensergebiet meldete seinerseits mindestens 2.200 Verletzte im Gazastreifen.
Da Israel am Sonntag kurzzeitig auch von der Islamisten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon angegriffen wurde, wuchs die Furcht vor einem Flächenbrand in der Region, vor dem etliche Staaten bereits gewarnt haben.
- Iran droht Israel: "Dieses Krebsgeschwür wird ausgerottet"
- Nehammer: ''Ich verurteile den Terrorangriff der Hamas auf Israel''
- Mitten in Wien: Hamas-Fans feiern Terror gegen Israel
Israelische Gegenangriffe
In der Nacht auf Sonntag hatten israelische Luftangriffe Wohnblocks, Tunnel, eine Moschee und Häuser von Hamas-Funktionären im Gazastreifen getroffen. Mehr als 300 Menschen, darunter 20 Kinder, wurden durch die israelischen Gegenangriffe getötet. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu schwor "mächtige Rache für diesen bösen Tag". Im Süden Israels kämpften die Armee auch am Sonntag immer noch an einigen Orten gegen Hamas-Extremisten.
Am Samstag hatte die im Gazastreifen herrschende Hamas überraschend einen Großangriff auf Israel aus der Luft, vom Boden und vom Meer aus begonnen. Sie feierte Tausende Raketen ab, Hunderte Kämpfer drangen durch die massiven Grenzbefestigungen vom Gazastreifen nach Israel ein. Sie töteten zahllose Zivilisten in grenznahen Ortschaften und entführten offenbar mehrere Dutzend Menschen in den Gazastreifen. Unter den Opfern sind auch zahlreiche Ausländer.
Das israelische Militär erklärte, es habe die Kontrolle über die meisten Infiltrationspunkte zurückgewonnen, Hunderte von Angreifern seien getötet und Dutzende weitere gefangen genommen. Mittlerweile seien Zehntausende von Soldaten in der Umgebung des Gazastreifens stationiert, in dem 2,3 Millionen Palästinenser leben. Israel hatte die Stromversorgung für das Küstengebiet bereits am Samstag unterbrochen. Israels Militär und der Geheimdienst stehen in der Kritik, weil sie den blutigsten Überfall seit Jahrzehnten nicht verhindern konnten. Der Angriff traf Israel offensichtlich völlig unvorbereitet.
Rückendeckung aus Europa und den USA
Israel erhielt von Staaten wie den USA und aus Europa Rückendeckung. US-Präsident Joe Biden bekräftigte, sein Land werde Israel immer den Rücken stärken. Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte Israel Solidarität zu. Der 43-Jährige habe am Nachmittag mit Netanyahu telefoniert, teilte eine Regierungssprecherin in London mit. Sunak habe Netanyahu jegliche Unterstützung angeboten, die Israel benötige. "Er hat bekräftigt, dass das Vereinigte Königreich klar an der Seite Israels steht gegen diese Terrorakte", hieß es in der Mitteilung.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte am Sonntag auf "Twitter (X)" mit, dass er Netanyahu angesichts der vielen Toten auch sein Beileid ausgesprochen habe. Er erinnerte daran, dass die Ukraine angesichts des russischen "Terrors" selbst erfahre, was Krieg bedeute und daher mit dem Volk Israels fühle.
Überwachung israelischer Einrichtungen in Österreich
Etliche arabische Staaten gaben Israel wegen der Siedlungspolitik vor allem im Westjordanland die Verantwortung für die Eskalation. Die Überwachung israelischer Einrichtungen in Österreich und anderen Ländern Europas wurde verstärkt. Auch in Deutschland wurde laut Innenministerin Nancy Faeser der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen verstärkt. Auch Frankreich erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen rund um Synagogen und jüdische Schulen. In Ägypten wurden zwei israelische Touristen erschossen.
Netanyahu: "Wir werden mächtige Rache nehmen"
"Wir werden mächtige Rache für diesen schwarzen Tag nehmen", sagte Ministerpräsident Netanyahu. "Unser Feind wird einen Preis zahlen, wie er ihn noch nie erlebt hat." Die Hamas habe einen grausamen Krieg begonnen. "Die Hamas will uns alle umbringen. Sie ist ein Feind, der Mütter und Kinder in ihren Häusern, in ihren Betten ermordet." Ein Militärsprecher sagte, man sei im Kriegszustand. Israel könne Hunderttausende Reservisten mobilisieren und sei auch auf einen Krieg an seiner Nordfront gegen die Hisbollah vorbereitet, die wie auch die Hamas bereits mehrere Kriege gegen Israel geführt hat.
© APA/AFP/MAHMUD HAMS
Rakete aus Gaza - abgefeuert am Morgen des 7. Oktober.
© APA/AFP/AHMAD GHARABLI
Ausgebrannte Autos in Aschkelon, einer Hafenstadt mit 140.000 Einwohnern im Südbezirk von Israel.
© APA/AFP/JACK GUEZ
Brennendes Wohnhaus in Tel Aviv nach dem Raketenbeschuss aus Gaza.
© APA/AFP/SAID KHATIB
Palästinenser übernehmen einen israelischer Merkava-Kampfpanzer, kurz nachdem sie am 7. Oktober die Grenze gestürmt haben.
© APA/AFP/Zain JAAFAR
Hamas-Schlächter tragen den Leichnam des 19-jährigen Ahmad Awawda, der am Vortag bei Kämpfen mit Israels Armee getötet wurde.
© APA/AFP/AHMAD GHARABLI
Israelische Soldaten in Aschkelon.
© APA/AFP/AHMAD GHARABLI
Zerstörung in Aschkelon.
© APA/AFP/GIL COHEN-MAGEN
Israelischer Yasur-Kampfhubschrauber über Tel Aviv.
© APA/AFP/JACK GUEZ
Israelische Soldaten in Sderot, einer 26.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zum Gaza-Streifen.
© APA/AFP/JACK GUEZ
Journalisten und israelische Soldaten in Sderot am 8. Oktober.
Hamas-Chef Ismail Haniyeh sagte, der Angriff werde sich auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten. "Dies war der Morgen der Niederlage und der Demütigung für unseren Feind, seine Soldaten und seine Siedler." Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sagte laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa in einem Telefonat mit US-Außenminister Antony Blinken, dass die "Ungerechtigkeit", die den Palästinensern widerfahre, den Konflikt mit Israel zu einer "Explosion" treibe. Der Iran bezeichnete die Angriffe als Selbstverteidigung der Palästinenser und rief muslimische Länder auf, sich auf deren Seite zu stellen. Im Nahen Osten gab es Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas. Dabei wurden israelische und US-Flaggen verbrannt.
UN-Dringlichkeitssitzung einberufen
Brasilien hat als derzeitiger Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates eine Dringlichkeitssitzung für Sonntag einberufen. Der türkische Außenminister Hakan Fidan telefonierte mit seinen Amtskollegen aus Katar, Saudi-Arabien, Ägypten, Iran und der palästinensischen Seite. Dabei sei der Konflikt erörtert worden, hieß es. Gespräche gab es zudem unter anderem auch zwischen Saudi-Arabien und den USA sowie zwischen Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien.
"Resultat langjähriger Unterdrückung"
Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit, reiste zu Gesprächen über die Eskalation im Nahost-Konflikt nach Moskau. Russland hatte dem Westen nach dem Hamas-Angriff auf Israel vorgeworfen, die Verhandlungen für eine Friedenslösung im Rahmen des sogenannten Nahost-Quartetts zu blockieren. Es seien angemessene Verhandlungen nötig, um die Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates in den Grenzen von 1967 mit einer Hauptstadt in Ost-Jerusalem zu ermöglichen. Zu den Vermittlern im Nahost-Quartett gehören die USA, Russland, die Europäische Union und die Vereinten Nationen.
Die Schiitenorganisation Hisbollah bekundete ihre Solidarität mit der Hamas. "Unsere Herzen, Seelen, Raketen und Gewehre sind mit euch, denn wir sind der Widerstand, der ursprünglich um Palästinas und der Al-Aqsa willen existierte", sagte der hochrangige Hisbollah-Beamte Hashim Safieddine.
Iran sprach von berechtigter Selbstverteidigung
Der Iran sprach von berechtigter Selbstverteidigung der Palästinenser. Irans Präsident Ebrahim Raisi sagte am Sonntag laut staatlichem Fernsehen: "Iran unterstützt die rechtmäßige Verteidigung der palästinensischen Nation." Mit Blick auf Israel fügte er hinzu, "das zionistische Regime und seine Unterstützer" würden die Sicherheit von Nationen in der Region gefährden. Dafür müssten sie zur Verantwortung gezogen werden.
Raisi sprach mit Hamas-Führer Ismail Haniyeh. Getrennt davon telefonierte Raisi auch mit dem Anführer der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Jihad, Siyad al-Nakhala, wie die iranische Nachrichtenagentur Isna am Sonntag berichtete. Zum Inhalt der Gespräche wurde zunächst nichts bekannt.