Israels Streitkräfte sind in Richtung der Stadt Rafah im Gazastreifen vorgerückt und haben damit Sorgen vor einer Militäroffensive befeuert.
In der Nacht auf Dienstag habe das Militär den Grenzübergang Kerem Shalom beschossen, berichteten palästinensische Medien. Das Militär übernahm dem Armeeradio zufolge außerdem die Kontrolle über die palästinensische Seite des Grenzübergangs Rafah. Am Dienstag soll es in Kairo ein weiteres Treffen von Unterhändlern geben.
- Israelischer Minister: Hamas-Verhandlungswillen ist "Trick"
- Hamas stimmt Vorschlag für Feuerpause im Gazastreifen zu
Die Hamas hatte am Montagabend ihre Zustimmung zu einem Verhandlungsvorschlag über eine Waffenruhe erklärt. Aus dem Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanyahu hieß es, der Vorschlag der Hamas sei weit entfernt von dem, was Israel verlange. Bei dem Vermittler-Vorschlag handle es sich nicht mehr um den gleichen, auf den sich Israel und Ägypten vor zehn Tagen geeinigt hätten und der die Grundlage indirekter Verhandlungen gewesen sei, hieß es von israelischer Seite. Es seien "alle möglichen Klauseln" eingefügt worden, berichtete der Fernsehsender Channel 12.
Israel lehnt Deal ab
Ein Hamas-Vertreter hatte erklärt, der vereinbarte Vorschlag sehe eine dreistufige Feuerpause mit dem Ziel eines dauerhaften Waffenstillstands vor. Das israelische Kriegskabinett entschied am Abend, den Militäreinsatz in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens fortzusetzen, um den militärischen Druck auf die Hamas zu erhöhen und die israelischen Kriegsziele durchzusetzen, teilte das Büro von Netanyahu mit.
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sprach von einer mehrstufigen Invasion, die gestoppt werden könne, wenn die Hamas sich zu einer vernünftigen Verhandlungslösung zum Austausch der Geiseln bereit erkläre. Die US-Regierung teilte später mit, sie gehe nicht davon aus, dass die lange angekündigte Großoffensive des israelischen Militärs auf Rafah bereits begonnen habe.
Weitere Verhandlungen
Am Dienstag soll es in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ein weiteres Treffen von Unterhändlern geben, um eine Waffenruhe, die Freilassung von Geiseln und Häftlingen sowie die ungehinderte Lieferung humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen zu ermöglichen, wie das Golfemirat Katar in der Nacht mitteilte. Katar, Ägypten und die USA agieren als Vermittler zwischen der Hamas und Israel, die aus Prinzip keine direkten Verhandlungen miteinander führen.
Der Grenzübergang Kerem Shalom - der wichtigste für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen - sei aus einer Entfernung von 200 Metern von Panzern und auch von Artillerie beschossen worden, hieß es in palästinensischen Medienberichten. Mehrere Häuser seien zerstört worden, auch von Todesopfern war die Rede, wobei es zunächst keine unabhängige Bestätigung dafür gab.
Der militärische Arm der palästinensischen Terrororganisation Hamas hatte erst am Sonntag Raketenangriffe auf den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom für sich reklamiert. Ziel seien israelische Truppen gewesen, hieß es in der Mitteilung der Kassam-Brigaden. Bei diesem Angriff wurden laut israelischer Armee drei Soldaten getötet und zwölf weitere verletzt.
Das Nachrichtenportal "Axios" berichtete unter Berufung auf israelische Regierungsbeamte, der Einsatz von Panzern und Bodeneinheiten östlich von Rafah sei als erste Phase der Offensive zu verstehen. Die Übernahme des Grenzübergangs Rafah solle nicht nur den Machtverlust der Hamas im Gazastreifen demonstrieren. Anschließend sollten Palästinenser ohne Verbindung zu den Islamisten an der Verteilung von Hilfsgütern beteiligt werden, die aus Ägypten in das abgeschottete Küstengebiet kommen.
UNO-Generalsekretär António Guterres rief die Konfliktparteien auf, alles dafür zu tun, um endlich ein Abkommen zu erreichen. "Eine Bodenoffensive in Rafah wäre nicht hinnehmbar aufgrund der verheerenden humanitären Folgen und wegen der destabilisierenden Folgen für die Region." Auch US-Präsident Joe Biden appellierte nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Washington, die Freilassung aller Geiseln, eine dauerhafte Waffenruhe sowie humanitäre Hilfe seien dringend nötig. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, bekräftigte mit Blick auf Rafah, die US-Regierung unterstütze keinen Einsatz, der mehr als eine Million Menschen einem großen Risiko aussetze.
Zwar hatte Hamas-Auslandschef Ismail Haniyeh den katarischen Ministerpräsidenten und den ägyptischen Geheimdienstchef nach eigenen Angaben per Telefon über die Entscheidung der Islamistenorganisation informiert, einen Kompromissvorschlag der Vermittler anzunehmen. Und das katarische Außenministerium ließ wissen, die Antwort der Hamas könne "als positiv beschrieben werden". Doch über den Inhalt dieser Vorschläge ist offiziell bisher wenig bekannt.
Der US-Sender CNN berichtete, die von der Hamas akzeptierte Fassung enthalte drei jeweils 42-tägige Phasen. Die erste sehe unter anderem die Freilassung von 33 Geiseln im Austausch für hunderte palästinensische Häftlinge, einen schrittweisen Teilabzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen und Bewegungsfreiheit für unbewaffnete Palästinenser in dem Küstengebiet vor. Die zweite Phase sei nicht detailliert ausgearbeitet, laufe aber auf die Freilassung aller restlichen Geiseln, den Komplettabzug der israelischen Armee aus Gaza und eine dauerhafte Kampfpause hinaus. In der dritten Phase soll demnach ein auf drei bis fünf Jahre angelegter Prozess zum Wiederaufbau Gazas beginnen.
Die Ankündigung der Hamas, sie habe ihre Zustimmung signalisiert, löste im Gazastreifen Jubelszenen auf den Straßen aus. In Rafah, Gaza-Stadt und anderen Orten strömten Menschen auf die Straßen, um zu feiern. Die Reaktion der israelischen Seite und die folgenden Ereignisse nährten jedoch Zweifel, ob wirklich ein Durchbruch erzielt wurde.
In einer Stellungnahme der Angehörigen der von der Hamas entführten Geiseln hieß es am Montagabend, die Ankündigung der Islamisten müsse den Weg für die Rückkehr der Gekidnappten ebnen. Vertreter der Angehörigen begrüßten die Ankündigung der Regierung Netanyahus, eine Verhandlungsdelegation zu Gesprächen mit den Vermittlern zu entsenden. In mehreren Städten Israels kam es am Montagabend zu Demonstrationen für eine Verhandlungslösung zur Freilassung der Geiseln.
Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation Hamas zerschlagen, die sie seit Oktober in Gaza bekämpft. In der Stadt werden die Hamas-Führung und auch Geiseln vermutet. Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Außerdem wurden rund 250 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete unterdessen, bei dem Einsatz der israelischen Armee in der Nacht seien 20 Terroristen getötet und drei Tunneleingänge entdeckt worden. Ein mit Sprengstoff präpariertes Auto, das in Richtung von Soldaten gefahren sei, sei zerstört worden. Die israelische Luftwaffe habe seit Beginn des Einsatzes 100 Ziele in dem Gebiet angegriffen. Unter israelischen Soldaten gebe es keine Opfer.
Bei einem Drohnenangriff der libanesischen Hisbollah-Miliz auf eine israelische Militärstellung in der Grenzregion wurden zwei Soldaten getötet. Das teilte das israelische Militär mit. Der Angriff in der Nähe der nordisraelischen Stadt Metula ereignete sich bereits am Montag. Die vom Iran unterstützte Islamisten-Miliz aus dem Libanon hatte dabei nach eigenen Angaben auch Dutzende Raketen auf militärische Ziele im israelischen Grenzgebiet abgefeuert. Israel und die Hisbollah, die mit der Hamas verbündet ist, haben sich in den vergangenen Monaten parallel zum Krieg im Gazastreifen fast täglich grenzüberschreitende Gefechte geliefert. Beide Seiten wollen bisher aber einen offenen Krieg vermeiden.