Israel muss warten

Hamas verzögert Freilassung weiterer Geiseln

25.11.2023

Die erwartete Freilassung weiterer Geiseln aus der Gewalt der islamistischen Hamas ist ins Stocken geraten.

Zur Vollversion des Artikels
© APA/AFP/JACK GUEZ
Zur Vollversion des Artikels

In letzter Minute stoppte die palästinensische Terrororganisation am Samstag die unmittelbar bevorstehende Übergabe einer zweiten Gruppe Geiseln an Israel. Israel drohte laut Medienberichten mit einer Wiederaufnahme der Offensive im Gazastreifen, sollten die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden.

Die Hamas verschob nach eigener Darstellung die Freilassung der zweiten Gruppe. Als Grund nannte der bewaffnete Arm der Palästinenserorganisation, die al-Qassam-Brigaden, dass Israel aus ihrer Sicht gegen einen Teil des Geisel-Deals verstoßen habe. Sie warf Israel vor, Hilfslieferungen nicht wie vereinbart auch in den nördlichen Teil des Gazastreifen ermöglicht zu haben.

Hamas-Sprecher Osama Hamdan ergänzte am Samstag auf einer Pressekonferenz, dass Israel seinen Teil des Waffenstillstandsabkommens nicht erfüllt habe und die Vermittler über die israelischen Verstöße informiert wurden. Er sagte auch, die Gruppe bekräftige ihr Engagement für den von Ägypten und Katar unterstützten Waffenstillstand, der am Freitag begann. Hamdan sagte, dass seit Freitag insgesamt 340 Hilfsgütertransporte in den Gazastreifen gelangt seien und dass 65 dieser Transporte den nördlichen Gazastreifen erreicht hätten - "das ist weniger als die Hälfte dessen, was Israel vereinbart hat."

Hamas hat Abmachung gebrochen

"Die Hamas ist sich bewusst, dass das israelische Militär die Bodenoffensive im Gazastreifen fortsetzen wird, wenn die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden", sagte ein israelischer Sicherheitsbeamter am Samstag der Nachrichtenseite "ynet" - und warf der Hamas vor, bereits am Vortag "dasselbe Spiel" gespielt zu haben. Demnach seien kurzfristig die Reiseroute und der Transport der Geiseln geändert worden. Dem Beamten zufolge sollen auch mehr als 61 von 200 für den Tag geplanten Hilfstransporte in den nördlichen Gazastreifen gelangt sein.

 

In Israel war die Übergabe der Israelis gegen 15.00 Uhr MEZ erwartet worden. Mehr als eine Stunde später berichteten israelische Medien von einer "technischen" Verzögerung. Ägypten und Katar bemühen sich nun um eine Lösung.

Ägyptischen Sicherheitskreisen zufolge hatte die Hamas eine Liste von 14 israelischen Frauen und Kindern übermittelt. Zur genauen Zahl der Geiseln, die am Samstag freigelassen werden sollten, hatte es auch unterschiedliche Angaben gegeben. Israelische Medien berichteten von Verhandlungen in letzter Minute darüber, ob 13 oder 14 Israeli freigelassen werden sollen.

Netanyahu schweigt zu weiteren Details

Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu teilte mit, die Liste werde von Sicherheitsbehörden geprüft. Zur Zahl oder weiteren Details äußerte sich das Büro nicht. Nach Angaben israelischer Strafvollzugsbehörden wird im Gegenzug die Freilassung von 42 palästinensischen Gefangenen vorbereitet.

Mit der Feuerpause rollte als Teil der Vereinbarung der Transport humanitärer Hilfe über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Süden des Gazastreifens, um die Not der Menschen zu lindern. Der Palästinensische Rote Halbmond sprach von 196 Lastwagen. Am Samstag sollten es demnach 260 Lastwagen sein. In der Früh wurden schon Lebens- und Arzneimittel sowie Gas zum Kochen und Diesel in den Küstenstreifen geliefert.

Am Freitag, dem ersten Tag der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas, waren insgesamt 24 Menschen freigelassen worden. Im Gegenzug wurden 39 palästinensische Frauen und Teenager aus israelischen Gefängnissen entlassen, wie das zwischen den Kriegsparteien als Vermittler fungierende Emirat Katar mitteilte. Bei dem Hamas-Großangriff auf Israel am 7. Oktober wurden etwa 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt.

"Kein Auge blieb trocken"

Die am Freitag nach Israel zurückgekehrten Geiseln wurden zunächst in Krankenhäuser in der Nähe von Tel Aviv gebracht und mit ihren Familien vereint. "Kein Auge blieb trocken", sagte eine Direktorin des israelischen Gesundheitsministeriums, Shoshy Goldberg, laut dem US-Nachrichtensender CNN auf einer Pressekonferenz vor Ort. Das israelische Militär teilte mit, dass die 24 aus dem Gazastreifen freigelassenen Menschen in "gutem Zustand" seien.

Die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während der zunächst viertägigen Feuerpause insgesamt 50 Geiseln sowie 150 palästinensische Gefangene freikommen. Obwohl beide Seiten erklärt haben, dass sie die Kämpfe nach dem Ende der Feuerpause wieder aufnehmen wollen, sieht US-Präsident Joe Biden eine echte Chance, sie zu verlängern. Die gegenwärtige Waffenruhe sei eine wichtige Gelegenheit, um humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen.

Überraschend traf eine Delegation aus Katar in Israel ein. Ein Teil des katarischen "Einsatzteams" solle vor Ort weitere Schritte absprechen und sicherstellen, dass "der Deal weiterhin reibungslos verläuft", sagte ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur. Katar pflegt gute Kontakte zur Hamas, unterhält selbst aber keine diplomatischen Beziehungen zu Israel.

Intensive Gespräche

Ägypten hat eigenen Angaben zufolge positive Signale von allen Beteiligten für eine Verlängerung der Feuerpause um ein oder zwei Tage erhalten. Sein Land führe diesbezüglich intensive Gespräche, teilte Diaa Rashwan, Chef des staatlichen Informationsdienstes, mit. Damit einherginge auch die Freilassung von weiteren in Gaza festgehaltenen Geiseln und palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen.

Hamas-Kämpfer hatten am 7. Oktober im Süden Israels bei einem Überfall nach israelischen Angaben 1.200 Menschen getötet. Daraufhin startete Israel einen groß angelegten Militäreinsatz mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören. Israel griff den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen aus der Luft, vom Meer und am Boden an. Nach palästinensischen Angaben wurden bisher gut 14.000 Bewohner des dicht besiedelten, schmalen Küstengebiets getötet, rund 40 Prozent davon Kinder. Hunderttausende flüchteten aus ihren Häusern und Wohnungen. Viele nutzten die Feuerpause nun, um in den Trümmern nach Wertgegenständen und anderen Habseligkeiten zu suchen.

 

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel