Ägypten-Aufstand
Jetzt explodiert Gewalt in Kairo
03.02.2011Lage außer Kontrolle. Jagd auf Journalisten. Ausländer werden totgeprügelt.
Die Straßenschlachten im Zentrum Kairos zwischen Mubarak-Anhängern und Mubarak-Hassern eskalieren. Ausländer und Journalisten sind jetzt das neue Feindbild.
Gesetzlosigkeit. Anarchie. Zehntausende Mubarak-Gegner wollen trotz wilder Straßenschlachten am Tahrir-Platz im Zentrum Kairos weiterkämpfen. Ihnen gegenüber stehen Zehntausende Mubarak-Anhänger. Sie sind mit Steinen bewaffnet, mit Messern, Macheten, Schlagstöcken, Schrotflinten. Beide Seiten sind zu allem entschlossen.
Schon jetzt herrschen apokalyptische Zustände: Die Mubarak-Gegner wollen, dass der verhasste Präsident verschwindet. An Aufgabe denken sie nicht. Die Mubarak-Anhänger fordern, dass die Demonstranten verschwinden. Für sie sind die Mubarak-Gegner nichts als Mob, Kriminelle.
Mob warf Kameramann in Nil
Es ist glühender Hass, der sich auch auf alle Ausländer in Kairo übertragen hat. Feindbild Nummer eins: Journalisten. Die Mubarak-Fans werden ihnen vor, schuld an den Unruhen zu sein. Auf sie wird Jagd gemacht.
Ich selbst sah, wie vor mir ein amerikanischer Kameramann vom wütenden Mubarak-Anhänger-Mob gepackt und vier Meter tief über die Nil-Brücke geworfen wurde. Niemand weiß, was mit ihm passiert ist. Medizinische Versorgung gibt es praktisch überhaupt nicht.
Einem britischen Kollegen droschen sie mit einem Holzstück auf die Schulter, weil er fotografierte. Wenig später versuchten Mubarak-Anhänger die Kairoer Büros von ORF, ZDF und anderer Fernsehgesellschaften an der Nil-Corniche zu stürmen. Zum Glück ist das misslungen. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary meldet sich für die ZiB aus einem völlig verdunkelten Studio. Würde man der Straße die Kamera-Beleuchtung sehen, könnte der Mob das Studio stürmen.
Am Nachmittag war El-Gawhary nur dadurch einer Prügelei entgangen, weil er seinen ägyptischen Personalausweis herzeigte. Eine weitere ORF-Mitarbeiterin wurde attackiert, weil sie ein Stativ in der Hand hatte.
Acht Journalisten wurden bisher verletzt. Vier gelten als vermisst. Mich verfolgten die Schlägertruppen von der 6.-Oktober-Brücke bis zum Hotel Ramses-Hilton. Warum? Ich hatte mich geweigert, meinen Pass herzugeben. Erst an der Auffahrt zum Hilton stoppten die Schläger die Hetzjagd. Ins Hotel durfte ich dennoch nicht: "Nur Gäste"“, sagten die Guards, die mit Schlagstöcken das verbarrikadierte Hotel verteidigen. Am späten Nachmittag wird laut Augenzeugen ein Ausländer auf dem Tahrir-Platz totgeprügelt. Das ZDF überlegt den Abzug aus Kairo.
Ärzte behandeln Verletzte – aber ohne Betäubung
Immer wieder werden "Verräter" unter den Demonstranten ausgemacht. Sie werden verdroschen. Auch zwei Erste-Hilfe-Stationen gibt es inzwischen. Vor dem ehemaligen Büro der Egypt Air werden von zwei jungen Ärzten Platzwunden behandelt. Ohne Betäubung. Wer schwerer verletzt ist, hat kaum eine Chance: 1600 Verletzte hat es bisher gegeben. Zumindest acht Tote.
Zwar versucht die Armee eine Pufferzone zu errichten. Doch die blutjungen Soldaten sind überfordert. Schüsse sind zu hören: Es sind Soldaten, die in Panik in die Luft feuern. Manchmal wird auch in die Menge geschossen.
Wer hinter den Schlägertrupps steckt? Tamer el-Said, 38, ein ägyptischer Filmemacher: "Es sind Schergen des Regimes." Reagiert hier nicht bald die Armee entschiedener: "Dann gibt es ein Blutbad", fürchtet er.
Freudentränen am Flughafen: Heimkehrer erleichtert
Wieder Dutzende Österreicher glücklich in Wien gelandet.
Es ist exakt 19.12 Uhr als am Donnerstagabend die Maschine mit der Flugnummer OS 864 am Flughafen Schwechat landet. Mit an Bord etliche Österreicher, die nur mehr eins wollten: Endlich raus aus dem Krisenherd Kairo.
"Eigentlich wollte ich noch bis Sonntag bleiben, aber ich habe meinen Urlaub abgebrochen. Niemand kann jetzt noch abschätzen, wie es in Ägypten weitergehen wird", erklärt Gertraud Hofbauer (46). "Wir dachten alle, es wird noch gut – bis dann die Benzinbomben flogen. Dann ist alles eskaliert."
Emara Esamat laufen die Tränen über die Wangen, als ÖSTERREICH sie anspricht. Erst jetzt realisiert die 48-Jährige, dass sie endlich in Sicherheit ist. "Ich bin so glücklich, es war schrecklich", so Esamat, die von ihrem Sohn abgeholt wird. Auch Ahmed Taha ist erleichtert: "Heute war mein regulärer Flug. Zwar habe ich nicht viel von den Protesten mitbekommen, aber ich bin froh, wieder da zu sein", erklärt der 20-jährige gebürtige Ägypter.