Nächstes Projekt
Jetzt will Erdogan die Todesstrafe einführen
17.04.2017
Nach dem Sieg im Referendum widmet sich der türkische Präsident seinem nächsten Projekt.
60 Prozent hatte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan als Wunschziel beim Referendum ausgegeben. Dass der Präsident nur knapp gewonnen hat und selbst das umstritten ist, hält ihn nicht davon ab, den Sieg zu reklamieren. Wie wäre das Resultat wohl ausgefallen, wäre der Wahlkampf fair verlaufen?
Als Ministerpräsident Binali Yildirim auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers zu seiner Siegesansprache ansetzt, ist die Türkei von einem amtlichen Endergebnis des Referendums noch weit entfernt. Die empörte Opposition hat gerade angekündigt, das knappe vorläufige Ergebnis anzufechten. Yildirim lässt sich davon nicht beeindrucken. "Unser Volk hat seine Wahl getroffen und dem Präsidialsystem zugestimmt", ruft Yildirim vor jubelnden Anhängern, die in Sprechhören zugleich klarmachen, dass sie lieber Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf dem AKP-Balkon sähen als ihn.
Erdogan tritt kurz danach in Istanbul auf und preist die "historische Entscheidung" des Volkes für das Präsidialsystem, für das er seit Jahren kämpft und das ihn nun noch mächtiger machen wird. "Das ist der Sieg der gesamten Türkei", meint Erdogan.
Gespaltenes Land
Ziemlich genau die Hälfte der Türkei sieht das allerdings anders. Das vorläufige Ergebnis, das die Wahlkommission verbreitete: 51,3 Prozent Zustimmung für das Präsidialsystem, 48,7 Prozent dagegen. Die Türkei ist gespalten wie nie.
Zu seinen frenetisch jubelnden Anhängern spricht Erdogan anschließend vor der Residenz des Präsidenten am Bosporus in Istanbul. Erdogan schafft einfach Fakten - und lässt gar keinen Zweifel daran aufkommen, dass er den Sieg beim Referendum für sich reklamiert.
Erste Aufgabe: die Todesstrafe
Stattdessen spricht er darüber, was nun vor ihm liegt. Seine "erste Aufgabe" werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen, sagt er vor der Menge, die "Idam, Idam" skandiert - "Todesstrafe, Todesstrafe". Kein Wort davon, wie knapp das Ergebnis ausgefallen ist - und wie weit er sein selbsterklärtes Wunschziel von mehr als 60 Prozent verfehlt hat.
Vize-Ministerpräsident Veysi Kaynak räumt am Abend zumindest ein, dass die Zustimmung zum Präsidialsystem längst nicht so begeistert ausgefallen ist, wie sich das Erdogan-Lager das erhofft hatte. "Wir sehen, dass wir in manchen Provinzen nicht die erwartete Anzahl an "Ja"-Stimmen bekommen haben", sagt Kaynak in Ankara. Er betont aber auch, dass es aus seiner Sicht darauf letztlich nicht ankomme: "In allen Demokratien ist der ausreichende Anteil 50,1 Prozent."
Ebenfalls in Ankara tritt kurz nach der Schließung der Wahllokale Erdogan-Berater Mustafa Akis vor Journalisten. Er kommt zu dem bemerkenswerten Schluss, der Wahlkampf sei aus seiner Sicht fair verlaufen. "Diejenigen, die für ein 'Ja' oder für ein 'Nein' warben, hatten die Möglichkeit, sich durch Medien auszudrücken und mit der Öffentlichkeit zusammenzutreffen. Ich glaube, sie hatten gleiche Chancen. Ich habe keine Ungleichheiten gesehen."
Opposition fand keine Plattform
Dabei sind die ungleich verteilten Chancen nicht zu übersehen gewesen. Der Tag vor dem Referendum in der Türkei zeigte noch einmal eindrücklich, wie unfair der Wahlkampf verlaufen ist. Staatschef Erdogan und Ministerpräsident Yildirim traten insgesamt neun Mal in Istanbul auf. Die längst auf Regierungslinie gebrachten Fernsehkanäle schalteten hektisch zwischen den beiden hin und her, wobei Yildirim vor allem als Pausenfüller zwischen den Erdogan-Ansprachen diente. Die Opposition kam - mal wieder - so gut wie gar nicht vor.
Das wirft die Frage auf, wie das Resultat ausgefallen wäre, wäre der Wahlkampf fair verlaufen - zudem der Ausnahmezustand die Kampagne der Opposition deutlich erschwert hat. "Unter diesen Umständen hat das Ergebnis keine Legitimation", schimpft der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu. Er kündigt an, das Ergebnis anzufechten. Das will auch die pro-kurdische HDP, die erklärt: "Unsere Informationen weisen auf Manipulation in der Größenordnung von 3 bis 4 Prozentpunkten hin." Eine Größenordnung, die bei dem knappen Ergebnis entscheidend wäre.
Zahlreiche Unregelmäßigkeiten
Tatsächlich wurden am Wahltag zahlreiche Unregelmäßigkeiten gemeldet. Wahlbeobachter der Opposition und des Europarates kritisierten im kurdischen Südosten Behinderungen durch die Polizei. Eines von vielen weiteren Beispielen: Die Wahlkommission ließ während der laufenden Abstimmung und gegen den Widerstand des CHP-Vertreters in dem Gremium Stimmzettel zu, die nicht von ihr gestempelt und verifiziert worden waren. Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu schäumte: "Man kann nicht mitten in einem laufenden Match die Regeln ändern."
Das Erdogan-Lager zeigt sich davon unbeeindruckt. Präsidentenberater Mustafa Akis sagt: "Das Ergebnis ist in allen Aspekten legitim und demokratisch." Mit Spannung wird nun erwartet, ob das die internationalen Wahlbeobachter der OSZE und des Europarates genauso sehen, die an diesem Montag in Ankara ihren Bericht vorlegen wollen.
Der deutsche Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu, der das Referendum auf eigene Faust in Istanbul beobachtete, hat seine Bilanz bereits gezogen. "Das Referendum ist unter absolut unfairen und ungerechten Bedingungen abgelaufen", sagt er. Das knappe "Ja" komme einer Abschaffung der parlamentarischen Demokratie gleich. Die Türkei habe sich von ihrer Orientierung gen Westen nun völlig verabschiedet. "Das ist ein schwarzer Tag für die Türkei und für die EU."
(Von Can Merey/dpa)