Er schrieb Buch über Abschied von totem Sohn
Joe Biden: Die menschliche Seite eines US-Präsidenten
22.11.2020Joe Biden hat ein Buch ("Versprich es mir") über den Abschied von seinem verstorbenen Sohn geschrieben. In den USA war es ein Mega-Seller. Jetzt erscheint das Buch auch auf Deutsch. Wir haben schon die englische Fassung gelesen.
Ohnmacht. Es war ein Moment, als ihn die Trauer, die Verzweiflung, die Ohnmacht eingeholt hatten.
Joe Biden, damals Vizepräsident unter Barack Obama, hatte bei einem Familien-Urlaub eine Radtour unternommen, am harten Sand des Strandes auf Kiawah Island in South Carolina. Sein Sohn Beau war gerade nach langem Leiden an Gehirnkrebs gestorben. „Das Secret Service blieb zurück in großem Abstand“, beschreibt der Demokrat seine persönliche Tragödie in seinem berührenden Buch „Promise me, Dad“, das jetzt auch auf Deutsch erscheint („Versprich es mir“): Er erinnerte sich plötzlich, dass er an der gleichen Stelle mit seinem Sohn unterwegs gewesen war, der damals sagte: „Dad, setzen wir uns nieder!“
Beide hätten dann in die offene tosende See geblickt und den Moment genossen. Für Biden brachen in dieser Sekunde alle Emotionen heraus: „Ich war überwältigt, ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte, mein Atem wurde immer kürzer“, hielt er fest: „Ich blickte auf die Weite des Ozeans, setzte mich auf den Sand und weinte …“
Schicksalsschläge
Solche berührenden Passagen aus dem 2017 veröffentlichten Buch bieten einen Einblick in den Charakter von Joe Biden, der am 20. Jänner nach dem Wahlsieg gegen den Amtsinhaber Donald Trump in den USA die Macht übernimmt. Es war nicht sein erster Schicksalsschlag: Eine Woche vor dem Weihnachtstag 1972 kamen seine Frau Neilia und die damals einjährige Tochter Amy bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Im Auto waren auch die Söhne Beau und Hunter, sie überlebten mit Knochenbrüchen. Biden war damals gerade 30.
Mehr als vier Jahrzehnte später dann die nächste herzzerreißende Tragödie: Beau, ein Kriegsveteran und Hoffnungsträger der Demokraten, war mit Krebs diagnostiziert worden. Er starb 2015.
Biden, zu dieser Zeit als Vizepräsident von Barack Obama zweitmächtigster Mann Amerikas, ließ sich öffentlich wenig anmerken von der ohnmächtigen Trauer über den Tod seines zweiten Kindes. In dem Buch aber öffnet er sich: „Beau Biden war im Alter von 45 Jahren Joe Biden 2.0“, schreibt er: „Er hatte das Beste von mir in sich, aber die Fehler und Schwächen waren ausgemerzt.“
Sein Sohn Beau wäre Joe 2.0 geworden, schreibt der neue US-Präsident in seinem Buch. Er hätte alle seine guten Eigenschaften gehabt, die schlechten wären ausgemerzt gewesen.
2016 nicht kandidiert
Beaus Tod hatte letztendlich auch seine Pläne zunichte gemacht, schon 2016 anzutreten – es wurde oftmals vermutet, dass Biden den Populisten Trump schon damals besiegen hätte können, viel bessere Aussichten als Hillary Clinton gehabt hätte.
Der Bericht der New York Times, dass ihn Beau am Sterbebett angefleht hätte, anzutreten, stimmt so nicht, stellt Biden aber klar. Doch sein Sohn hätte fraglos eine Kandidatur unterstützt.
Clooney als Unterstützer
Enthüllt wurde in dem Buch auch, dass Biden ein Antreten weit ernsthafter erwogen hatte, als zunächst bekannt war: Im Oktober 2015, wenige Monate nach dem Ableben seines Sohnes, hatte er bereits an einer Rede für den Start des Vorwahlkampfs getüftelt: Er wollte mehr Optimismus verbreiten, im Vergleich zu Trumps Hetze und Hillary Clintons technokratischen Planspielen. Sogar Hollywood-Star George Clooney stand in den Startlöchern als prominenter Helfer.
Biden mit seinen Söhnen Hunter (links) und Beau.
Emotionen
Doch die Trauer konnte der Demokrat nicht abschütteln: Da stand er einmal auf einem Rollfeld in Colorado bei einer Veranstaltung, als ihm jemand zurief, dass er mit Beau in der Armee gedient hatte. „Ich fühlte einen Klumpen in meiner Kehle“, schrieb Biden: „Mein Atem wurde plötzlich flacher und meine Stimme knackte, ich hatte Angst, von den Emotionen überwältigt zu werden, und ich glaube, das Publikum konnte das sehen.“
Er winkte dann nur und eilte zum Auto zurück. Und Biden wusste: „So sollte sich ein Präsidentschaftskandidat nicht in der Öffentlichkeit verhalten.“ Nachdem er diese Trauer schon einmal durchmachen hatte müssen, wusste er auch, dass das zweite Jahr oft schlimmer ist – es hätte ihn also mitten im Wahlkampffinale erfasst. Er wollte das seiner Familie ersparen.
Frostige Hillary
Beschrieben ist auch Bidens „frostige Beziehung“ zu Clinton: Bei einem Treffen hätte er kein „echtes Feuer“ in ihr entdeckt, sie wirkte mehr wie eine Kandidatin, die getrieben wäre von Mächten ihrer Partei und eigenen Ambitionen. Ihr Stab hätte ihn hinter den Kulissen offen bekämpft, beklagt Biden.
Hillary sollte letztendlich verlieren, stattdessen zieht er in Kürze ins Oval Office ein.
Herbert Bauernebel