Prozess-Finale
Kachelmann-Urteil: Freispruch für TV-Star
31.05.2011
Urteil im Vergewaltigungsprozess: Freispruch zweiter Klasse.
Es ist 9.07 Uhr, als im Gerichtssaal Jubel und Applaus aufbranden. Richter Michael Seidling hat gerade verkündet, worauf alle hier gewartet haben – "Der Angeklagte Jörg Kachelmann wird freigesprochen." –, und plötzlich herrscht so etwas wie Partystimmung im Gericht. Bizarrste Szene: Vor dem Saal packen fünf reifere Damen Sektgläser aus und lassen einen Piccolo knallen.
"In dubio pro reo" – im Zweifel für den Angeklagten, so endet nach neun Monaten und 43 Verhandlungstagen der spektakulärste Prozess Deutschlands gegen den Wetter-Star, dem die Anklage vorgeworfen hatte, seine Lebensgefährtin Sabine W. (Name geändert) vergewaltigt zu haben.
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Sabine W., das Opfer, lauscht erschüttert der Urteilsbegründung, immer wieder beginnt sie zu weinen. Kachelmann selbst verfolgt das Geschehen mit starrem Blick, ohne eine Regung, ohne ein Lächeln.
"Verdacht abgeschwächt, aber nicht verflüchtigt"
Kein Wunder: Er geht nicht als triumphaler Sieger aus dem Prozess hervor. Es ist ein „Freispruch zweiter Klasse“. Die Urteilsbegründung macht das klar. „Der Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann überzeugt ist“, sagt der Richter, für den der Fall ungeklärt bleibt. Sein düsterster Satz: „Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenziell rachsüchtige Lügnerin.“
Kachelmann verlässt nach 45 Minuten das Gericht durch die Hintertür – nachdenklich. Seine letzte Hoffnung auf eine Fortsetzung seiner glanzvollen Karriere als ARD-Wetterfrosch ist nach diesem Urteil wohl dahin (siehe unten).
Weshalb sein Verteidiger Johann Schwenn, der durch seinen rabiaten Verhandlungsstil aufgefallen war, auch nach dem Urteil auf das Gericht eindrosch: Die Kammer hätte mit seiner Urteilsbegründung „richtig nachgetreten, um den Angeklagten maximal zu beschädigen“. Sein Schluss: „Erbärmlich.“
Auch die Feministin Alice Schwarzer, sie verfolgte den Prozess für Bild, übte Kritik – freilich von der anderen Seite aus: „Man muss auch Respekt vor dem möglichen Opfer haben.“ Und: „Er kommt nicht ins Gefängnis, es bleibt alles offen.“
Der Staatsanwalt überlegt noch, ob er gegen das Urteil in Berufung geht.
Kein TV-Comeback
Schweiz. Nach dem Freispruch steigt Jörg Kachelmann wieder bei dem Wetterdienst „Meteomedia“ ein. Sein Heimat-TV-Sender ARD hat allerdings noch keine Pläne mit Kachelmann. Ein Comeback scheint aussichtslos. Das offizielle Statement der ARD: „Solange das Verfahren nicht endgültig abgeschlossen ist, sieht die ARD keinen Entscheidungsbedarf.“ Für Medienprofi Hans Mahr ist aber klar: „Mit diesem Urteil wird’s ganz schwer,
einen Sender zu finden.“
Lauda: "Sein Leben ist dennoch ruiniert"
ÖSTERREICH: Herr Lauda, Jörg Kachelmann wurde nun freigesprochen. Ihre Meinung?
Niki Lauda: Es ist leider immer das Gleiche, und das widert mich inzwischen dermaßen an – Kachelmann ist monatelang als schlimmster Vergewaltiger vorverurteilt worden, der Mann ist doch völlig erledigt, ruiniert. Das Urteil ändert daran gar nichts. Schließlich bleibt in der öffentlichen Meinung immer etwas hängen. Der Kachelmann kann jetzt machen, was er will, sein Leben ist zerstört. Langsam zweifle ich am Rechtsstaat, nicht nur in Deutschland …
ÖSTERREICH: Sondern?
Lauda: Bei uns ist es doch nicht anders. Da wurde etwa der (Ex-Hypo-Chef) Kulterer in Untersuchungshaft gesteckt, oder die Tierschützer. Der Einzige, der zumindest eine ordentliche Haftentschädigung bekommen hat, ist der Alfons Mensdorff-Pouilly. Der hat wenigsten 430.000 Euro für eine Woche unberechtigte U-Haft bekommen. Die Causa Grasser ist doch ähnlich – jeden Tag wird uns in Österreich das Gefühl vermittelt, dass der Karl-Heinz Grasser ein Obergauner ist. Was ist, wenn sich seine Unschuld herausstellt? In einem Rechtsstaat – und Österreich ist wie Deutschland keine Bananenrepublik – darf es keine Vorverurteilungen geben.