ÖSTERREICH-Reporter Wendl analysiert den Tod des Diktators.
Weder Mao noch Stalin waren länger im Amt als er. Nur Fidel Castro kann auf eine ähnlich um zwei Jahre längere Amtszeit zurückblicken, wobei der Begriff Amtszeit eigentlich falsch ist – Gaddafi hatte gar keine offizielle Position. Er war weder gewählter Präsident, noch Parteichef, noch Staatschef. Er war bloß Oberst, Revolutionsführer. Mächtigster Mann im Staat. Der Einzige, der entscheidet. Das reichte. Bis zum 20. Oktober.
Putsch
Am 1. September 1969 putschte er in Tripolis als blutjunger Hauptmann gegen den ungeliebten und unfähigen König Idriss. Machte kurzen Prozess mit dessen „Weißer Garde“, eine Machtergreifung, die leicht fiel. Gaddafi verkörperte damals jenen Geist islamischen Siegesbewußtseins, jenen revolutionär-religiösen Taumel, der Moslems mitreißt. Sein Habitus strahlte Geheimnisvolles aus, Verwirrendes. Er war ein schöner Mann. Groß, kräftig, ausdrucksvoller Beduinenkopf, sympathische Jugendhaftigkeit, katzenhafter Gang. Sein brennend starrer Blick hatte ständig etwas Gehetztes.
Zuletzt war Gaddafi nur noch ein alternder Exzentriker, ein Politik-Komödiant in schrillen Phantasieuniformen. Die Gesichtshaut lasch, die Lippen hängend, die Augen verquollen, ein Schatten seiner selbst.
Bloß sein schrilles Erscheinungsbild während seiner kreischenden Ansprachen aus seinem Bunker Bab al Asisija während der NATO-Luftangriffe auf seine Festung in Tripolis erinnerte noch an den Revolutionär von damals, als er versuchte, seine eigene Nation in eine egalitäre, islamische Gesellschaftsform einzuschmelzen. Bei seinen Auslandsreisen wohnte er im Beduinen-Zelt. Bis zuletzt musste ihm seine ausschließlich weibliche Leibgarde Kamelmilch servieren. Jetzt starb er vor einer Betonröhre im Wüstensand.
Gaddafi wurde im September 1942 in einem Zelt in der libyschen Wüste in der Nähe der Küstenstadt Sirte geboren.
Später besuchte er die Militärakademie in Bengasi und ging für ein halbes Jahr zur weiteren Ausbildung nach Großbritannien.
An die Macht kam der damals 29-Jährige am 1. September 1969 - vor genau 42 Jahren.
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Auf seine Reisen nahm er stets ein Beduinenzelt mit. Gewohnt hat er allerdings in Luxus-Hotels.
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Historische Aufnahme: Gaddafi mit Kubas Revolutionsführer Castro.
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Jörg Haider war gern gesehener Gast in Libyen.
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Auch Obama machte ihm seine Aufwartung
Der von ihm gegründete Bund der "Freien Offiziere" hatte den greisen König Idriss in einem unblutigen Putsch vom Thron gestoßen.
Gaddafi wollte stets in die Fußstapfen des charismatischen Araberführers Gamal Abdel Nasser aus Ägypten treten.
Dieser sagte kurz vor dem Tod sagte: "Du bist mein Sohn und mein Erbe."
Mit seinen theaterreifen Auftritten und seiner Frauenleibwache sorgt er immer wieder für Aufsehen - mal im weißen Beduinengewand, mal in Operettenuniform oder italienischem Designeranzug
Gaddafi liebt die Provokation - und ist immer für eine Überraschung gut.
Berlusconi zählte zu seinen Freunden.
Zu Italien unterhielt er exzellente Beziehungen.
Jetzt ist das Ende des Wüsten-Fuchses gekommen. In Tripolis haben die Rebellen die Macht übernommen. Am 20. Oktober 2011 wurde er in Sirte getötet.
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Handshake mit Alfred Gusenbauer, 2007.
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2005 bei einem Immigrations-Gipfel noch ohne Bart.
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Ausstraffiert besuchter er 2009 den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano.
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Gaddafi zeigte sich gerne als Familienmensch. Hier in einem Homevideo mit seiner Enkelin aus dem Jahr 2005.
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Auch bei Romano Prodi war Gaddafi 2004 zu Gast.
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Im April 2011 glaubte er noch ein einen Sieg im Kampf gegen die Rebellen.
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2010 war für Gaddafi noch alles in Butter.
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Mittlerweile wurden beide entmachtet: Hosni Mubarak (l.) und Muammar Gaddafi, anno 1991.
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2010: Staatsoberhäupter als Kumpels. Gaddafi lehnt lässig auf den Schultern des yemenitischen Präsidenten Ali Abdulla Saleh und des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak.
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2007 war zwischen Gaddafi und Sarkozy noch alles in Ordnung.
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Beim G8-Gipfel 2009 in L'Aquila trafen sich Obama und Gaddafi persönlich.
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Öl und Gas und dennoch kein reiches Land!
Gaddafi brachte seinem Volk keinen Reichtum. Er stattete sein Land lediglich mit nationaler Arroganz aus, doch das reichte nicht zur Führerschaft in der arabischen Welt und in Afrika. Zwar musste in Libyen niemand Hunger leiden, aber der Lebensstandard war niedrig, Infrastruktur und Löhne waren nicht mit Dubai zu vergleichen. Sein Projekt, aus Libyen (nur sechseinhalb Millionen Einwohner) eine geschlossene Vorhut der arabischen und islamischen Wiedergeburt zu machen, war gescheitert. Und das, obwohl eine Laune der Geologie im tripolitanischen Boden Gaddafi alle erdenklichen Möglichkeiten gegeben hat – Libyen verfügt über immensen Erdölreichtum, exportierte fast ebenso viel Öl pro Kopf wie Saudi Arabien.
Gaddafi wuchs in der Sahara auf. Als Kind armer Beduinen. Die Wüste war sein Zuchtmeister, sein Zelt sein Schloss. Als Schüler wurde er missachtet, vernachlässigt. Er hatte kaum Chancen gegen die Söhne wohlhabender und arroganter Feudalherren. Daraus wuchs sein brennendes Bedürfnis nach Macht und sozialer Gleichmacherei, eine Beschreibung, die in Biographien vieler Revolutionäre zu finden ist: „In der Einsamkeit zwischen Sand und Firmament entstand sein fanatisches Verlangen nach Abrechnung mit der korrupten und gottlosen Welt“, analysiert Gaddafi-Kenner Peter Scholl-Latour.
Mit Terror zum Weltfeind!
Dieses prophetische Sendungsbewusstsein machte Gaddafi zum Motor jeder Form revolutionären Umsturzes. Jahrzehntelang pumpte der Oberst als Spinne im weltweit verzweigten System des Terrors Geld in Tod und Vernichtung. Er finanzierte die moslemischen Terroristen in Mindanao und palästinensische Bomber. Seine Emissäre unterstützten die Mörder der „Irisch-Republikanischen-Armee“, die Bomber der ETA, die Killer der RAF in Deutschland, die OPEC-Geiselnehmer in Wien.
Wo immer Blutvergießen entstand,
waren Gaddafis Männer nicht weit. So auch am 21. Dezember 1988. Damals schmuggelten libysche Geheimagenten unter Führung von Gaddafi-Agent Abdel Bassit Ali Mohammed al Megrahi eine Höllenmaschine an Bord des PanAm-Jumbos „Maid of the Seas“. 38 Minuten nach dem Start der Maschine mit Ziel New York detonierte die Zeitbombe in 10.000 Meter Höhe über der schottischen Ortschaft Lockerbie. Alle 259 Menschen an Bord sowie elf Bewohner des Marktfleckens kamen bei dem Anschlag ums Leben. Al Megrahi, der Mann, der dieses Inferno ausgelöst hat, wurde erst vor einem Jahr in Tripolis frenetisch gefeiert, nachdem die Schotten ihn freigelassen haben. Gaddafi begrüßte den Massenmörder mit Bruderkuss. Die Schotten haben ihn nach Hause geschickt, weil er an Prostatakrebs leidet. Und das schottische Recht im Falle einer todbringenden Erkrankung die Begnadigung eines Verurteilten zulässt. Heute liegt der Lockerbie-Attentäter vom Krebs gezeichnet in einem Haus am Stadtrand von Tripolis.
Sirte - Heimatstadt Gaddafi´s endgültig befreit
Gaddafi und das Geschäft mit der Geiselnahme!
Gaddafi hat nach den Anschlägen von 9/11 öffentlich dem Terror abgeschworen. Ein Mann wie er kann aber seine Gefühle, seine Vergangenheit, nicht auswechseln. Schließlich versteht das Geschäft der Geiselnahme keiner besser als er. Zuerst hielt er jahrelang bulgarische Krankenschwestern fest, weil diese libyschen Kindern absichtlich aidsverseuchte Blutkonserven verabreicht haben. Die Krankenschwestern wurden zum Tode verurteilt, in Straflager geschickt, Psychoterror pur. Zuletzt begnadigte Gaddafi die bedauerswerten Frauen. Er brauchte Handlungsspielraum bei Gesprächen mit der EU und Brüssel ging in die Knie. Dann führte Gaddafi die Schweiz vor, weil die Genfer Polizei im Juli 2008 seinen Sohn Hannibal (das fünfte von acht Kindern) festgenommen hatte. Hannibal Gaddafi flüchtete nach Algerien. In seinem Konvoi saßen sein bruder Mohammed, seine Mutter und seine Schwester Aisha. Aisha brachte noch am Grenzübergang zwischen Libyen und Algerien ein Kind zur Welt.
Bis zuletzt wollte Gaddafi nicht wahrhaben, dass er sein Land, sein Volk verloren hat. Nach dem Fall von Tripolis setzte er sich völlig überstürzt in die Wüstenfestung Bani Walid ab. Von dort ging es weiter in seinen Geburtsort Sirte an der Mittelmeerküste. In seiner Residenz in Tripolis ließ er alles zurück: Briefe, Tausende Fotos, alle persönlichen Gegenstände, sogar die meisten seiner Uniformen. Gaddafi hätte auch ins Ausland flüchten können. Er tat es nicht: „Allah ist mit den Standhaften“, hatte er noch vor wenigen Tagen aus seinem Versteck in Sirte verkünden lassen. Es war seine letzte Botschaft.
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