ÖSTERREICH-Reporter

In Gaddafis Geheim-Versteck

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Alle jagen den Diktator: Gaddafi floh vor NATO-Bomben in ein Krankenhaus.

Doktor Waleed Salhi (36) ist Chirurg im Zentralkrankenhaus von Tripolis. Studiert hat er in Sofia, Bulgarien. Seit fünf Jahren arbeitet er jetzt in der Tripolis-Klinik. Er zeigt mir den Aufnahme-Bereich: Ein Bett neben dem anderen. Dutzende Verletzte. Ein Gewirr aus Ärzten, Schwestern, Angehörigen, Rebellen, die den Trakt sichern sollen: „100 bis 150 Verletzte werden pro Tag eingeliefert“, sagt er: „Meist Schussverletzungen. Scharfschützen, die größte Gefahr in der Stadt“. Nach dem Gespräch zieht Dr. Salhi mich und drei weitere Reporter zur Seite: „Ich zeige ihnen etwas“, sagt er mit leiser Stimme: „Ein Versteck Gaddafis“.

Salhi führt uns quer über den Hof. Ein älteres Gebäude, hohe Fenster, drei Stockwerke hoch, ein heller Stiegenaufgang: „Das war ein Hochsicherheitsbereich. Niemand von uns durfte hier jemals rein“. Im ersten Stock ein Operationsbereich, eine Klinik in der Klinik, dann eine schwere Holztüre, ein schmaler Gang, ein scheinbar normales Ärztezimmer mit beiger Ledersitzgarnitur, ein Couchtisch, ein Flachbildfernseher, Schreibtisch, ein Bett. Im Nebenraum eine Dusche, eine Toilette, ein Waschtisch. Die Fenster sind verdunkelt. Über dem Bett eine Landkarte: Libyen.

Aufgeteilt in kleinste Details: „Hier hat sich Gaddafi stets versteckt“, behauptet der Arzt, „als die NATO seine Residenz bombardierte“. Niemand habe ihn jemals kommen sehen, keiner der Ärzte wusste davon. Der gesamte Komplex sei für die normale Mannschaft absolut tabu gewesen, versichert der Chirurg. Auch habe man nie Autos vorfahren gesehen: „Wir wissen noch nicht, wie er in diesen Raum gelangt ist“, sagt Salhi, „vielleicht durch einen der zahlreichen Tunnel?“. Vom Krankenhaus  bis zu seiner Residenz sind es Luftlinie kaum mehr als einen Kilometer.  

Als beweis dafür, dass Gaddafi sich hier vor den NATO-Bomben versteckt hat, erwähnt der Arzt Filmaufnahmen: „Es gibt Aufnahme, wie Gaddafi während eines NATO-Bombardements Schach gespielt hat. Mit einem russischen Unterhändler. Die Aufnahmen wurden exakt in diesem Raum gemacht“. Tatsächlich: Auf dem Video ist die helle Couch, der Schreibtisch, der Couchtisch zu sehen, ebenso der markante dicke Teppich: „Hier konnte er völlig sicher sein“.

Geheim-Tochter am Leben?
Doch Dr. Salhi erzählt noch mehr: „Das Zimmer hat Dr. Hanna Gaddafi gehört“, behauptet er. Offiziell ist Hanna Gaddafi, die Adoptivtochter des Diktators,  1986 ums Leben gekommen.  Getötet durch US-Bomben, die damals als Rache für einen Terroranschlag die Gaddafi-Residenz angegriffen haben. Hanna sei damals ein Jahr alt gewesen. 25 Jahre hielt sich hartnäckig der Mythos der getöteten Gaddafi-Adoptivtochter. Alle Zeitungen und TV-Stationen berichteten darüber.  Bis heute gilt die 1977 geborene Aischa als einzige Gaddafi-Tochter. Jetzt  behauptet der Arzt: „Sie ist nie getötet worden, die Geschichte ist aus Propagandagründen erfunden worden. Hanna Gaddafi lebt, sie hat seit Jahren hier im Spital gearbeitet. Nun ist sie verschwunden“. Wie der gesamte übrige Gaddafi-Clan auch.
 

Rebellen plündern alle Luxus-Villen

Nach und nach räumen die Rebellen eine Villa nach der anderen aus. Es ist ‚Plündern auf höchstem Niveau‘: Freitag, Stadtteil Gargur, hier wohnten die engsten Vertrauten des Gaddafi-Clans. Eine Villa ist zerbombt. Sie gehörte Abdullah Zanussi, Geheimdienstchef, Schwager Gaddafis.

Von der Designervilla blieb nur mehr ein Trümmerhaufen. Alle anderen Villen stehen noch. Jede ist von einer fünf Meter hohen Mauer umgeben. Jede verfügt über einen 1.000-Quadratmeter-Park mit Pool. Alle Türen sind aufgebrochen. Fernseher, Hi-Fi-Anlagen sind längst weggeschleppt, bloß die schweren Sofas und die dicken Brokatvorhänge sind übrig. Vor einem Haus steht ein gepanzerter Hummergeländewagen. Die Rebellen haben mit einem Maschinengewehr auf das Auto gefeuert, es ist durchsiebt. Ich treffe nur einen Mann um die Fünfzig: „Zuerst die NATO-Bomben, ein Verbrechen. Dann die Rebellen, das Chaos.“ Die Zukunft: „Ich kann das nicht beantworten, das Wichtigste ist nur eines – überleben.“

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