Afghanistan
Keine Spur von Frauenrechten bei den Taliban
09.09.2021Nach Vorstellung der neuen Regierung zeichnen sich politische Prioritäten ab (Von Emmanuel Duparq und Marine Pennetier
Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan geben sich die Taliban betont moderat. Doch spätestens seit der Vorstellung ihrer Interimsregierung in dieser Woche gibt es erhebliche Zweifel, ob die Islamisten zur Achtung grundlegender Menschenrechte bereit sind. Anstelle des versprochenen "inklusiven" Kabinetts hat Afghanistan eine Regierung, die ausschließlich aus Männern mit langjähriger Taliban-Karriere besteht. Die konkrete Politik der Taliban bleibt vage. Ein Überblick:
Frauenrechte
Der Westen pocht auf die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte in Afghanistan - und macht insbesondere die Gewährung von Frauenrechten zur Voraussetzung für eine Fortsetzung wirtschaftlicher Hilfen für Afghanistan. Während ihrer Schreckensherrschaft von 1996 bis 2001 hatten die Taliban Frauen massiv unterdrückt.
Die neue Taliban-Führung hat eine weniger strikte Auslegung des islamischen Rechts zugesagt. Laut einem Dekret sollen Frauen "im Einklang mit den Prinzipien des Islam" arbeiten dürfen. Was dies genau bedeutet, bleibt jedoch unklar. Es wurden bereits Klagen von Frauen in Afghanistan laut, dass ihnen für ihre Arbeit einfach kein Lohn mehr ausgezahlt werde.
Anspruch auf eine Hochschulbildung sollen Frauen ebenfalls haben. Allerdings soll die universitäre Lehre nach Geschlechtern getrennt erfolgen. Zudem müssen Frauen an der Uni eine Abaya, ein islamisches Überkleid, tragen und ihr Gesicht mit einem Nikab verschleiern. Auch das Treiben von Sport ist Frauen weitgehend verboten.
Presse- und Meinungsfreiheit
Die Taliban haben angekündigt, dass Journalisten und Journalistinnen ihrer Arbeit weiterhin nachgehen dürften. "Wir werden die Pressefreiheit respektieren", sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mujahid der Organisation Reporter ohne Grenzen.
Afghanische Journalisten zeichnen ein anderes Bild. Am Mittwoch wurden die beiden afghanischen Journalisten Nemathullah Nakdi und Taki Darjabi von Taliban-Kämpfern brutal zusammengeschlagen, nachdem sie von einer Demonstration in Kabul berichtet hatten.
Die freie Meinungsäußerung für Bürger ist bereits offiziell stark beschnitten: Am Mittwoch erließen die Taliban ein Protest-Verbot. Taliban-Sprecher Mujahid forderte die Medien auf, über Demonstrationen "nicht zu berichten".
Kultur
"Musik ist im Islam verboten", sagte Sabiullah Mujahid im August der "New York Times". Demnach setzen die Taliban darauf, dass die Afghanen die neuen Regeln auch ohne Zwang umsetzen.
Zuvor hatten die Taliban zugesagt, Kulturgut und historische Stätten in Afghanistan zu schützen. Auch an diesem Versprechen gibt es international Zweifel - mit ihrer Sprengung der Buddha-Statuen von Bamian 2001 hatten die Islamisten weltweit Empörung ausgelöst.
Sicherheits- und Drogenpolitik
Die Taliban haben allen, die gegen sie aufbegehren, ein hartes Vorgehen angedroht. Bekämpfen wollen sie nach eigenen Angaben zudem IS-K, den regionalen Ableger der Jihadistenmiliz Islamischer Staat.
Nach den Worten der Taliban soll Afghanistan überdies ein "rauschgiftfreies Land" werden. Bisher ist das Land am Hindukusch der größte Opiumproduzent der Welt. Kritiker halten die Anti-Drogen-Rhetorik der Taliban für Makulatur und befürchten, dass die Islamisten für zusätzliche Einnahmen auf den Drogenhandel setzen könnten.
Wirtschaftspolitik
Afghanistan droht eine ernste Finanzkrise: Die Devisen des Landes wurden nach der Machtübernahme der Taliban eingefroren, die meisten internationalen Hilfen ausgesetzt. Mujahid kündigte eine Fortsetzung der Gespräche auf internationaler Ebene an. Zudem solle die afghanische Wirtschaft mit Hilfe der afghanischen "Ressourcen" wiederbelebt werden.
Wie die Taliban die Zahlung von Beamtengehältern, aber auch das Funktionieren der kritischen Infrastruktur sicherstellen wollen, bleibt indes unklar.
Bisher lagen die hauptsächlich durch kriminelle Aktivitäten generierten jährlichen Einnahmen der Taliban laut Schätzungen bei Summen zwischen 300 Millionen und 1,4 Milliarden Dollar (250 Millionen bis 1,18 Milliarden Euro). Ihren Kampf gegen die frühere afghanische Regierung und ihre internationalen Verbündeten konnten die Taliban damit finanzieren. Experten warnen aber, dass die Beträge nur einen Bruchteil dessen abdecken, was benötigt wird, um einen Staat am Laufen zu halten.