170 Tote
Kirgistan-Unruhen: Usbekistan macht dicht
15.06.2010
Deutschland fliegt Ausländer aus - keine Österreicher im Krisengebiet.
Vier Tage nach Beginn der gewalttätigen Unruhen zwischen Kirgisen und Angehörigen der usbekischen Minderheit stabilisiert sich die Lage nach offiziellen Angaben im Süden von Kirgistan langsam wieder. "Die vergangene Nacht war mehr oder weniger ruhig in der Region", sagte ein Vertreter des kirgisischen Innenministeriums in der Hauptstadt Bischkek. Dafür hätten zahlreiche Sicherheitskräfte gesorgt. Auch hätten Hilfslieferungen an Bedürftige verteilt werden können. Das große Problem sei die Verbreitung von Gerüchten, die Panik und Spannungen schürten.
170 Tote, 1.700 verletzt
Wie das Gesundheitsministerium
mitteilte, wurden bisher 170 Menschen getötet und mehr als 1.700 verletzt.
Allerdings gehen Augenzeugen von deutlich mehr Toten aus, weil die Usbeken
ihre Leichen aus Angst nicht in die kirgisischen Einrichtungen bringen.
Medien nannten am Dienstag die Zahl von 2000 Todesopfern in Osch und
Dschalal-Abad (Jalalabad). Viele Leichen wurden ohne Identifizierung in
Massengräbern begraben. Beweise für diese deutlich höhere Zahl an Toten gab
es zunächst aber nicht. Das Verhältnis zwischen beiden Bevölkerungsgruppen
ist vor allem wegen der wirtschaftlichen Ungleichheit angespannt. Die
politische Situation in Kirgistan ist seit dem Sturz von Staatschef
Kurmanbek Bakijew im April, bei dem 87 Menschen ums Leben kamen, äußerst
instabil.
Usbeken auf der Flucht
Die humanitäre Katastrophe wegen der
Unruhen hat sich auch auf das benachbarte Usbekistan ausgeweitet.
Zehntausende Usbeken sind auf der Flucht vor den ethnischen Zusammenstößen
in Osch und Dschalal-Abad. Weil der Flüchtlingsstrom nicht abreißt, schloss
Usbekistan am Dienstag seine Grenze. "Wir haben einfach keine
Kapazitäten mehr", sagte der usbekische Vize-Regierungschef
Abdulla Aripow nach Angaben des zentralasiatischen Nachrichtendienstes
CA-News. Neben Kirgistan fordert nun auch Usbekistan Hilfe, um der Krise
Herr zu werden. Nötig seien vor allem Medikamente, Betten und
Verbandsmaterial für die vielen Verletzten, teilten die usbekischen Behörden
mit. Die Menschen wurden in Zeltlagern, in Schulen und Kindergärten und
Krankenhäusern des Gebiets Andischan untergebracht.
Deutschland evakuierte 89 Ausländer
Das deutsche Auswärtige
Amt hat 89 Europäer und andere Ausländer aus dem Krisengebiet in Kirgistan
evakuiert. Die Ausländer seien in der Nacht auf Dienstag mit zwei
Charter-Maschinen aus Osch in die Hauptstadt Bischkek ausgeflogen worden,
sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle am Dienstag in Berlin.
Die deutsche Botschaft sei die einzige Vertretung eines EU-Landes in
Bischkek und habe daher erstmals die Organisation einer solchen
Evakuierungsaktion übernommen. Die deutschen Diplomaten hätten dabei eng mit
der US-Botschaft zusammengearbeitet.
Westerwelle rief erneut alle Konfliktparteien zur Beendigung der Gewalt auf. Besonders besorgt zeigte sich der Außenminister über die Lage der usbekischen Flüchtlinge, deren Zahl nach UNO-Schätzungen 100.000 überschreiten könnte. Um ihre Situation zu verbessern, kündigte Westerwelle 500.000 Euro humanitäre Hilfe an.
Unter den in der Nacht ausgeflogenen Ausländern waren nach Angaben aus Diplomatenkreisen keine Deutschen. Es habe sich um 40 Europäer gehandelt, darunter elf Schweizer. Außerdem seien 31 Amerikaner sowie Brasilianer und Südkoreaner evakuiert worden. Zwei Deutsche hatten Osch schon zuvor verlassen. Vermutet wird, dass sich nun noch ein einziger Bundesbürger in Osch aufhält. Nach Angaben aus Diplomatenkreisen halten sich zurzeit noch um die 200 Deutsche in Kirgistan auf, die meisten von ihnen jedoch in der Bischkek.
Keine Österreicher im Krisengebiet
Laut dem österreichischen
Außenministerium befinden sich im Krisengebiet nach derzeitigem Wissenstand
keine Österreicher mehr. Einer von drei Österreichern bei einer
Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, der sich in Osch
aufgehalten hatte, sei bereits am Wochenende von der OSZE nach Bischkek
zurückgebracht worden und wohlauf, sagte Ministeriumssprecher Peter
Launsky-Tieffenthal der APA auf Anfrage.
Sicherer Korridor gefordert
Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte
die andauernde Gewalt in Kirgistan. Die Menschen im Süden der
zentralasiatischen Republik sollten Ruhe bewahren und zu Recht und Ordnung
zurückkehren. Es sei an der Zeit, Nahrungs- und Hilfsmittel in das
Krisengebiet zu schicken, mahnte Ratspräsident Claude Heller am späten
Montagabend (Ortszeit) im Namen der 15 Rats-Mitgliedsländer. Gefordert
wurde, einen sicheren Korridor für Hilfslieferungen zu schaffen.
Unterstützung für Betroffene
Dies sei angesichts der
angespannten Sicherheitslage im Süden des Landes dringend nötig, damit die
UNO und andere den Betroffenen Unterstützung zukommen lassen könnten, sagte
am Montag der Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten, Lynn
Pascoe. Zuvor hatte er den Sicherheitsrat über die Bemühungen der Vereinten
Nationen informiert, den Betroffenen Hilfe zu gewähren. Große Sorge bereite
den UNO auch die Situation der Flüchtlinge, sagte Lynn. Deshalb versuche die
Weltorganisation, dem Nachbarland Usbekistan genug Hilfe zukommen zu lassen,
um es zur Aufnahme weiterer Geflohener zu befähigen. Die internationale
Gemeinschaft müsse auch dringend der kirgisischen Übergangsregierung helfen,
eine weitere Zuspitzung der Lage zu verhindern, sagte Pascoe dem
Sicherheitsrat laut einer UNO-Mitteilung.