Unruhen könnten wieder aufflammen

Krawalle in Frankreich: Trotz "ruhigerer Nacht" bleibt Polizei vorsichtig

02.07.2023

Wie geht es nach der fünften Nacht mit Krawallen in Frankreich weiter? Vieles deutet darauf hin, dass die Gewalt langsam abnimmt. Der französische Innenminister Gérald Darmanin sprach am Sonntagmorgen von einer "ruhigeren Nacht" dank des entschlossenen Vorgehens der Polizei.

Zur Vollversion des Artikels
© APA/AFP
Zur Vollversion des Artikels

Bisher wurden in der Nacht von Samstag auf Sonntag 719 Festnahmen verzeichnet - deutlich weniger als in den Nächten zuvor. Außerdem wurden 871 Brandherde auf öffentlichen Straßen registriert, in der Nacht zuvor waren es noch 2.560. 577 Autos brannten aus - nach 1.350 am Vortag. Doch trotz des massiven Polizeiaufgebots und einer etwas ruhigeren Nacht ist eines klar: Ein friedliches Sommerwochenende in Frankreich sieht anders aus.

Der Pariser Polizeichef mahnte auch zur Vorsicht. Man dürfe nicht den Schluss ziehen, dass die Gewalt endgültig vorbei sei, sagte Laurent Nunez dem Fernsehsender BFMTV. Die Unruhen von 2005 hätten gezeigt, dass der Grad der Gewalt von Tag zu Tag unterschiedlich sein könne. Drei Wochen lang gab es damals nach dem Tod zweier von der Polizei verfolgten Jugendlichen heftige Unruhen. Diese stürzten das Land in eine Krise mit Notstandsrecht und Ausgangssperren. "Natürlich bleiben wir äußerst konzentriert, niemand schreit nach Sieg", sagte Nunez.

Krawalle könnten wieder aufflammen

Er warnte davor, weniger Polizisten einzusetzen, denn dann könnten die Unruhen wieder zunehmen. In ganz Frankreich wurden in den vergangenen zwei Nächten 45.000 Polizisten eingesetzt, unterstützt von Spezialtruppen, die sonst eher bei Terroranschlägen oder Großeinsätzen in Drogenkartellen tätig sind.

Präsident Emmanuel Macron wollte am Sonntagabend zusammen mit der Premierministerin und dem Justizminister Bilanz ziehen. Für Macron ist die Lage heikel: Kann er die Straßen befrieden und wieder Herr der Lage werden oder ist er ein Getriebener der Gewalt? Macron musste wegen der Krawalle den ab Sonntag geplanten Staatsbesuch in Deutschland absagen, den ersten seit 23 Jahren. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr durchkreuzt damit die innenpolitische Lage seine Pläne: Im Frühjahr wurde wegen der eskalierenden Proteste gegen Macrons Rentenreform schon der Besuch des britischen Königs Charles III. in Frankreich kurzfristig abgesagt.

© APA/AFP

Für den Staatschef steht nun einiges auf dem Spiel. Wie 2018 beim Start der Gelbwesten-Proteste und im Frühjahr bei den Renten-Krawallen ist er mit einer landesweiten Krise konfrontiert. Einen Plan, wie man die zugrundeliegenden Probleme der Unruhen - darunter Perspektivlosigkeit, Armut, Kriminalität und Polizeigewalt - lösen könnte, hat Macron bislang nicht vorgelegt. Er scheint auf eine massive Polizeipräsenz und die Ermüdung der Demonstranten zu setzen. Drastischere Schritte wie die Verhängung des Notstands oder eine weitgehende Ausgangssperre scheint Macron vermeiden zu wollen.

Auslöser der Unruhen war der Tod eines Jugendlichen durch den Schuss eines Polizisten. Der 17-Jährige war am Dienstag in Nanterre am Steuer eines Autos von einer Motorradstreife gestoppt worden. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten. Die Beamten hatten zunächst angegeben, der Jugendliche habe sie überfahren wollen. Erst als sich von Medien verifizierte Videobilder des Vorfalls in den sozialen Netzwerken verbreiteten, rückten sie von dieser Darstellung und der angeblichen Tötungsabsicht des Jugendlichen ab. Der Polizist, der für seinen Tod verantwortlich gemacht wird, kam in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet. Seitdem wird Frankreich von einer Welle der Gewalt erschüttert, jede Nacht kam es bisher zu Plünderungen, Brandanschlägen und Festnahmen.

Chaos in Paris und Marseille

Brennpunkte waren in der vergangenen Nacht wie bereits zuvor die beiden größten Städte des Landes, Paris und Marseille. Die weltberühmte Pariser Einkaufsmeile Champs Élysées wurde von einem großen Polizeiaufgebot unter Einsatz von Tränengas geräumt, wie "Le Figaro" berichtete. Das Wohnhaus des Bürgermeisters in einem Vorort von Paris wurde angegriffen, während dessen Familie zu Hause schlief, wie der Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun, auf Twitter schrieb. Die Täter rammten mit einem Auto das Tor zu seinem Haus und zündeten dann das Auto, den Wagen der Familie und mehrere Mülltonnen an. Nach Angaben des Fernsehsenders BFMTV leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen versuchten Mordes ein.

Spezialeinheit nach Waffenplünderung im Einsatz

Nachdem in Marseille zuvor eine Waffenkammer geplündert worden war, war die Polizei dort nun mit gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Spezialtruppen im Einsatz. Hier wurden 65 Menschen festgenommen und zwei Polizisten verletzt. Bislang wurden in der Stadt in Südfrankreich fast 400 Geschäfte zerstört, sagte der Präsident der IHK Aix-Marseille-Provence, Jean-Luc Chauvin, dem Fernsehsender franceinfo. Er schätzte die Verluste für Händler auf mehr als Hundert Millionen Euro.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel