Angriffsdrohungen

Krieg an allen Fronten: Nahostkonflikt spitzt sich zu

04.08.2024

Vor dem Hintergrund massiver Angriffsdrohungen seiner Erzfeinde sind Israels Sicherheitskräfte Berichten zufolge in höchster Alarmbereitschaft. 

Zur Vollversion des Artikels
© getty
Zur Vollversion des Artikels

Man rechne damit, dass die vom Iran und der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah angedrohten Attacken "über mehrere Fronten" erfolgen, berichtete der israelische Fernsehsender Channel 12. So könnten sich neben der Hisbollah auch andere bewaffnete Stellvertretergruppen Teherans an einer Aggression gegen Israel beteiligen.

Dazu gehören die Huthi im Jemen sowie Iran-treue Milizen im Irak und in Syrien. Die israelische Führung diskutiere derzeit über mögliche Antworten auf eine derartige konzertierte Angriffshandlung. Diese beinhalteten "die Bereitschaft, in diesem Zusammenhang in einen allumfassenden Krieg einzutreten", hieß es bei Channel 12.

Als Reaktion auf einen mutmaßlich israelischen Angriff im Südlibanon feuerte die proiranische libanesische Hisbollah nach eigenen Angaben erneut Dutzende Raketen auf Israel ab. Erstmals seien Katjuscha-Raketen auf die Ortschaft Beit Hillel in Nordisrael abgefeuert worden, teilte die Hisbollah mit. Dies sei eine Reaktion auf die israelischen Angriffe auf Dörfer wie Kafr Kila im Süden des Libanons, bei denen Zivilisten verletzt worden seien. Nach Angaben libanesischer Sicherheitsquellen wurden aus dem Südlibanon rund 50 Raketen auf Nordisrael abgefeuert. Laut israelischen Medien wurden viele Raketen durch das Abwehrsystem Iron Dome abgefangen. Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs kommt es auch zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär täglich zu Beschuss.

Regionaler Flächenbrand

Das Szenario eines möglichen regionalen Flächenbrands zeichnet sich ab, seitdem zwei hochrangige Feinde Israels Opfer tödlicher Anschläge wurden. In der Nacht zum Mittwoch tötete eine Explosion im Zimmer eines Gästehauses der Regierung in Teheran den Hamas-Auslandschef Ismail Haniyeh. Wenige Stunden zuvor hatte ein Luftangriff den ranghohen Hisbollah-Kommandeur Fuad Shukr in Beirut getötet.

Den Angriff auf Shukr reklamierte Israel für sich, zum Anschlag auf Haniyeh äußerte es sich bisher nicht. Der Iran und die Hamas machen den jüdischen Staat für dessen Ermordung verantwortlich.

Der Iran droht mit einem harten Vergeltungsschlag. An diesem würden sich auch die mit dem Iran verbündeten Milizen in der Region beteiligen, sagte der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), General Hussein Salami. "Das kriminelle und terroristische zionistische Regime (Israel) und seine Unterstützer müssen mit dem heiligen Zorn der Widerstandsgruppen rechnen", schrieb er auf dem Webportal der Revolutionsgarden.

Angedrohter Vergeltungsschlag

Die näheren Umstände der Tötung des Hamas-Führers sind unklar. Der Iran widersprach nun erneut Berichten westlicher Medien, wonach israelische Agenten bereits zwei Monate vor der Reise Haniyehs eine Bombe in dem von den Revolutionsgarden bewachten Gästehaus deponiert und per Fernzündung aktiviert hätten. Den Revolutionsgarden zufolge wurde der Anschlag mit einem Geschoss mit kurzer Reichweite verübt.

Unklar bleibt, wann der angedrohte Vergeltungsschlag erfolgen könnte. In den Erklärungen Teherans und der Hisbollah ist immer wieder von den "nächsten Tagen" die Rede. Israel kann mit der Unterstützung der USA und anderer Verbündeter rechnen.

Infolge der Drohungen aus Teheran wird befürchtet, dass ein Angriff diesmal breiter und komplexer ausfallen könnte als Irans Attacke auf Israel im April. Damals hatte Teheran den jüdischen Staat mit mehr als 300 Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen angegriffen. als Antwort auf einen Angriff Israels, bei dem mehrere iranische Generäle in einem iranischen Botschaftsgebäude in Beirut getötet wurden.

Waffenruhabkommen

Bei der nun zu erwartenden Operation könnten iranische Stellvertretergruppen im Irak und in Syrien US-Stützpunkte im Osten Syriens angreifen, schrieb das amerikanische Institute for the Study of War (ISW) - um damit Amerikaner zu binden, die sonst bei der Verteidigung Israels zum Einsatz gelangen würden. Lokalen Medienberichten zufolge hätten Iran-treue Milizen Truppen und Raketenwerfer aus dem Irak nach Syrien verlegt, in die Nähe der US-Stützpunkte.

US-Präsident Joe Biden und andere Regierungsmitglieder von Israels wichtigstem Verbündeten sehen den Schlüssel zur Deeskalation in einem Waffenruheabkommen für den seit fast zehn Monaten andauernden Gaza-Krieg. Die indirekten Verhandlungen dafür, bei denen die USA, Ägypten und Katar vermitteln, kommen jedoch nicht voran. Diese sollen auch zur Freilassung von noch rund 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas führen. Die jüngste Gesprächsrunde mit israelischen und ägyptischen Teilnehmern am Samstag in Kairo brachte keine Fortschritte, wie israelische Medien berichteten.

Die Vermittler, aber dem Vernehmen nach auch engste Mitarbeiter Netanyahus sehen in der Blockadehaltung des israelischen Regierungschefs die Ursache für den Stillstand der Gespräche. Channel 12 und der gut vernetzte Journalist Barak Ravid berichteten von einer hitzigen Sitzung des Ministerpräsidenten mit seinen Unterhändlern am vergangenen Mittwoch, in der es Schreiduelle gegeben haben soll.

"Feiglinge"

Ronen Bar, der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, soll Netanyahu aufgefordert haben, er möge es offen sagen, wenn er keinen Deal wolle. Netanyahu soll daraufhin seine Mitarbeiter als "Feiglinge" beschimpft haben, die für den Hamas-Chef im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, arbeiten würden.

Demonstranten, die Druck für ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln machen, werfen Netanyahu immer wieder vor, dass dieser ein Gaza-Abkommen blockieren würde. Tausende Menschen demonstrierten auch am Samstag in Tel Aviv, Jerusalem, Haifa und anderen israelischen Städten. Der ehemalige Diplomat Eran Etzion sagte laut "Times of Israel" auf einer Kundgebung in Jerusalem, der Deal liege auf dem Tisch, Netanyahu würde ihn "aus politischen, persönlichen und strafrechtlichen Gründen" blockieren.

Kanada warnte indes seine Bürger vor Reisen nach Israel. Das Außenministerium forderte Kanadierinnen und Kanadier dazu auf, aufgrund des "anhaltenden regionalen bewaffneten Konflikts und der unvorhersehbaren Sicherheitslage" alle Reisen nach Israel zu vermeiden. Die Sicherheitslage könne sich ohne Vorwarnung weiter verschlechtern.

Zur Vollversion des Artikels