Missbrauchskandal: Raniero Cantalamessa sieht die Kirche als Opfer.
Der persönliche Prediger von Papst Benedikt XVI. hat die im Zusammenhang mit der Missbrauchsaffäre gegen die katholische Kirche und ihr Oberhaupt erhobenen Vorwürfe mit dem Antisemitismus verglichen. Die Juden seien in der Geschichte Opfer kollektiver Gewalt geworden, und die Anschuldigungen gegen die Kirche und den Papst erinnerten an die "schändlichsten Aspekte des Antisemitismus", sagte Pater Raniero Cantalamessa bei einem Karfreitagsgottesdienst im Vatikan in Anwesenheit Benedikts. Ein jüdischer Freund habe ihm geschrieben, dass er die "gewaltsamen und konzentrierten Angriffe" auf die Religionsgemeinschaft und ihr Oberhaupt mit Abscheu verfolge.
Zentralrat der Juden reagiert empört
Vertreter des
Judentums reagierten empört auf die Äußerungen Cantalamessas, dessen Titel "Prediger
des päpstlichen Hauses" lautet. "Schande über Pater
Cantalamessa", sagte Elan Steinberg von der Vereinigung amerikanischer
Holocaust-Überlebender und ihrer Nachkommen. Der Vatikan habe das Recht,
sich zu verteidigen, doch der Vergleich sei beleidigend und nicht
nachvollziehbar. "Wir sind zutiefst enttäuscht", sagte
Steinberg der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete die Bemerkungen als "Frechheit". "Es ist widerwärtig und obszön und vor allem beleidigend gegenüber den Missbrauchsopfern und auch den Opfern der Shoah", sagte Generalsekretär Stephan Kramer der Nachrichtenagentur Associated Press. Cantalamessa mache sich die Worte zu eigen und müsse dazu stehen. Es handle sich um ein übliches Ablenkungsmanöver des Vatikans. Aus den Tätern sollten Opfer gemacht werden, kritisierte Kramer und fügte hinzu: "Ich habe bisher weder den Petersdom brennen sehen noch Gewaltausbrüche gegen katholische Priester."
Kreuzweg-Prozession
Der Vatikan hat Vorwürfe zurückgewiesen, den
sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche vertuscht
zu haben. Den Medien warf die römisch-katholische Kirche ehrenrührige Motive
vor. Der deutsche Papst hat sich bislang nicht persönlich zu den
Anschuldigungen geäußert, die jüngster Zeit in Deutschland und Österreich
gegen Kirchenvertreter erhoben worden sind.
Vatikan distanziert sich
Nach scharfer Kritik aus dem Ausland hat
sich der Vatikan vom Antisemitismus-Vergleich in der Missbrauchsdebatte
distanziert. Ein solcher Vergleich könne zu Missverständnissen führen, sagte
Vatikansprecher Federico Lombardi am Freitagabend. Die Äußerungen von
Raniero Cantalamessa seien nicht die offizielle Position des Vatikans.
Am Abend stand für Benedikt die traditionelle Kreuzweg-Prozession um die Ruine des Kolosseums auf dem Programm. Am Samstag predigt er bei der Osterwache im Petersdom, und am Sonntag spendet er den Segen "Urbi et Orbi", der Stadt und dem Weltkreis.