„Das geht einem an die Nieren“

Küberl in Moldawien

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Caritas-Präsident bei Lokalaugenschein im ärmsten Land Europas vor allem von Kinder-Schicksalen erschüttert.

Der Human Development Index der Vereinten Nationen, kurz: HDI, weist die Republik Moldau (Moldawien) weit abgeschlagen als ärmstes Land Europas aus. Geographisch eingeklemmt zwischen der Ukraine und Rumänien fristet das „Armenhaus“ des Kontinents sein Dasein auf Platz 111. Am zweitschlechtesten rangiert Mazedonien – 33 Plätze weiter vorne. Caritas-Präsident Franz Küberl hat deshalb Moldau Ende Jänner für einige Tage bereist, denn die Hilfsorganisation ist dort seit vielen Jahren mit zahlreichen Projekten vertreten. Zurückgekehrt ist er mit erschütternden Eindrücken aus einem verfallenen, vergessenen Land, lächerliche eineinhalb Flugstunden von Wien entfernt.

Moldau leidet seit der Erlangung seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 unter einem für Europa beispiellosen Bevölkerungsaderlass. Rund ein Viertel, so heißt es, habe das Land bereits verlassen, und der Strom an jungen Menschen, die an der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat verzweifeln und das Weite suchen, will einfach nicht abreißen. Diejenigen, die bleiben, sind mehrheitlich einer quälenden Tristesse ausgesetzt, entweder in desolaten und trotzdem überteuerten Plattenbauruinen oder in abbruchreifen Bauernhäusern, viele von ihnen haben keine Arbeit, kein Geld, kaum noch Lebensmut und ein massives Alkoholproblem.

Und als wäre das nicht genug, ließ eine Sprecherin des Sozialministeriums in Gegenwart des Caritas-Präsidenten verlauten, die Selbstmordrate unter Kindern sei „ in letzter Zeit deutlich gestiegen“. Zahlen gab sie keine preis, was aber angesichts der kaum vorstellbaren Tatsache, dass es überhaupt Acht- bis Zehnjährige gibt, die beschließen, nicht mehr Leben zu wollen, eigentlich keine Rolle mehr spielt. Die Trauer und all der Schmerz, der ihnen zugemutet wird, meist von Mama und Papa, die sich vor ihren Augen zu Tode saufen oder ins Ausland gehen, um zwar Geld zu schicken, aber dafür nur noch sporadisch heimzukehren oder sie einfach so vor die Türe setzen, bewirken diese „Dramen der Verlassenheit“, wie Küberl es nennt.

„Wenn ich so etwas höre, geht es mir mies. Da werden einem die Grenzen des Helfens aufgezeigt. So etwas lässt einem keine Ruhe, das geht an die Nieren“, rang Küberl nach dieser „Neuigkeit“ um Fassung. Dabei ist es gerade die Caritas, die sich vehement gegen den gnadenlosen Alltag der Bedürftigen in Moldau stemmt. Zum Beispiel in Chisinau, wo im Mutter-Kind-Zentrum unverheiratete Mütter bis zu einem Jahr Unterschlupf und Nestwärme finden. Verstoßen von der Familie irren diese jungen Frauen, oftmals noch Teenager, durch eine Millionenstadt, die zwei staatliche Kinderkrippen zu je elf Plätzen anbietet. Chancen- und mittellos ist das Caritas-Haus dann die letzte Rettung, die letzte Zuflucht, in die sie sich mit ihren unterernährten Sprösslingen retten.

Wie brutal das Leben für eine unverheiratete Mutter in dem zu 90 Prozent orthodoxen Moldau ist, verdeutlichen einfache Rechnungen: Geächtet von der eigenen Familie bekommen sie 300 Lei an staatlicher Unterstützung, umgerechnet 17 Euro – das reicht gerade für einen dreiwöchigen Windelvorrat. Vom Durchschnittslohn, nämlich rund 180 Euro im Monat, können sie nur träumen. Ebenso von einer Wohnung, denn 150 Euro für 30 Quadratmeter im Plattenbau, und zwar kalt, ist reine Illusion – übrigens nicht nur für sie. Selbst mit den 1.200 Lei (75 Euro) Zuschuss von der Caritas geht es sich nur dann aus, wenn Mutter und Kind gesund bleiben. Denn schon eine simple Verkühlung schlägt sich mit 500 Lei an Medikamentenkosten zu Buche.

Unterkriegen ließe man sich als Caritas davon aber keineswegs: „Allein ein HDI-Rang 111 ist Anlass und Auslöser, hier tätig zu sein. Wir müssen einen Beitrag leisten, dass dieses Land Millimeter für Millimeter vorwärts kommt. Also: Ärmeln aufkrempeln und das, was man tun kann, tun.“ Punkto Wahrnehmung hatte Küberl dann auch noch ein paar Worte für Westeuropa parat: „Wir sollten uns schleunigst abgewöhnen, Menschen, die auf der Suche nach Leben sind, derart abzuqualifizieren. Und zwar völlig egal, ob sie aus Osteuropa oder Afrika zu uns kommen.“

(SERVICE – Caritas-Spendenkonto: PSK 7.700.004, Blz. 60.000; oder Online unter http://www.caritas.at)

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