Tausende Migranten, wütende Bewohner: ein Lokalaugenschein
Lampedusa. „Flüchtlinge?“ Ein ironisches Lächeln liegt auf Rosella Sferlazzos Lippen: „Das sind keine Flüchtlinge. Das sind reine Wirtschaftsmigranten“, ist sie wütend. Gemeinsam mit ihrem Bruder Giacomo, einem Künstler, organisiert sie täglich Kundgebungen in der Via Roma, Lebensader im Zentrum von Lampedusa: „Wir sind freundlich, helfen den Migranten, geben ihnen Pizza und Spaghetti, doch wir wollen nicht“, sagt sie, „dass unsere Insel zu einem reinen Flüchtlingscamp wird. Unsere Geduld neigt sich dem Ende zu.“
Einfach zu viele. 6.500 Einwohner hat Lampedusa. Im „Hotspot“, dem Auffanglager im Inneren der Urlaubsinsel, ist Platz für 400, 500 Migranten in Containern, auf Feldbetten unter freiem Himmel. Zuletzt schwappten aber bis zu 7.000 Migranten pro Tag an die Küste. Die meist jugendlichen Afrikaner saßen erschöpft in den Straßen, an Stränden, am Hafen, an der Mole: „Es war wie ein Stau am Meer“, sagt Valerio, er betreibt eine Tauchschule am Hafen: „Hunderte Boote trieben im Morgengrauen vor der Hafeneinfahrt. Stahlkähne, Fischerboote, auf jedem zusammengepfercht 40, 50 Personen.“ Eritreer, Männer aus Mali, Guinea, Sierra Leone, selbst aus dem Sudan. Carabinieri brachten sie ins Flüchtlingsaufnahmezentrum, das Frontex und Italien gemeinsam betreiben. Hier werden den Migranten die Fingerabdrücke abgenommen, ehe sie auf anderen italienischen Regionen verteilt werden.
15.000. Kurzfristig waren bis zu 15.000 Migranten auf der Mittelmeerinsel. Jetzt sind es rund 1.500. Doch täglich kommen neue Boote an. Die Schiffe starten in Sfax (Tunesien), 140 Kilometer sind es bis Lampedusa, dem Tor zu Europa. Zwischen 12 und 24 Stunden sind die meist billig zusammengeschweißten Stahlkähne unterwegs. Die Außenbordmotoren haben nur 9 bis 40 PS.
Angst vor den Migranten haben die Menschen in Lampedusa nicht. „Doch die Schlepper sind Bastarde. Die müssen wir in erster Linie bekämpfen“, so Attilio Lucia, Vizebürgermeister: „Sehr gefährliche Leute, ein Millionen-Business mit Menschenfleisch.“
Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni war auf der Insel. Sie kam mit EU-Chefin Ursula von der Leyen: Die Regierung in Rom versucht alles, die Lage schnell unter Kontrolle zu bringen. Doch der Strom reißt nicht ab: „Wenn ihr hierherkommt, werdet ihr zurückgeschickt“, donnerte Giorgia Meloni an die illegalen Einwanderer. „Leere Worte“, klagen die Bewohner von Lampedusa: „Wohin will sie die Menschen denn schicken? Die haben keine Papiere, wohin sollen sie zurück?“
"Wir brauchen jetzt die Hilfe Europas"
oe24.TV: Wie ist die Stimmung der Bevölkerung?
Prester: Unsere Geduld ist inzwischen erschöpft. Seit 30 Jahren sind wir mit Flüchtlingen konfrontiert, wir sind für die Menschen aus Afrika das Tor nach Europa. Wir brauchen die Hilfe Europas. Die Angst der Menschen ist, dass in Zukunft noch größere Camps errichtet werden. Geplant ist eine Zeltstadt mit bis zu 5.000 Migranten, das wollen wir nicht. Wir sind eine Touristeninsel, wir haben die schönsten Strände, das klarste Meer. Unsere Befürchtung ist, dass die Insel zur reinen Flüchtlingsinsel wird, wie Lesbos in Griechenland. Das wollen wir verhindern.
oe24.TV: Woher kommen die meisten Migranten und wohin wollen sie?
Prester: Sie suchen nach Jobs in Europa. Das sind keine Flüchtlinge, das sind Wirtschaftsmigranten. Sie kommen von überall aus Afrika her. Sie sind monatelang unterwegs. Zuerst durch die Wüste, dann eben über das Mittelmeer.
oe24.TV: Besteht die Angst, dass die Stimmung auf Lampedusa kippt?
Prester: Es gibt eine Widerstandsbewegung, aber wir haben keine Angst, dass die Situation in Gewalt umschlagen könnte. Gewaltausbrüche gegen die Migranten sind mir keine bekannt. Die Bewohner sind einfach überfordert.