Angela Merkel hofft auf eine gemeinsame EU-Position beim Türkei-Deal.
Mit kaum verhaltener Skepsis hat am Donnerstag der neueste EU-Gipfel in der Flüchtlingskrise begonnen. Die Staats-und Regierungschefs wollen sich zunächst auf ein gemeinsames Angebot an die Türkei einigen, bevor am Freitag der türkische Premier Ahmet Davutoglu zu den Verhandlungen in Brüssel stoßen wird.
Ziel ist eine Vereinbarung, wonach die Türkei ab einem noch festzulegenden Stichtag alle illegal nach Griechenland eingereisten Flüchtlinge zurücknimmt. Die EU will im Gegenzug für jeden zurückgeschickten Syrer einen als Flüchtling anerkannten Schutzsuchenden aus Syrien direkt aus der Türkei via "Resettlement" aufnehmen. Zudem verspricht ein Entwurf der Gipfel-Schlusserklärungen, Ankara eine Visaliberalisierung bis "spätestens Ende 2016" sowie "so schnell wie möglich" die "Eröffnung neuer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen".
Vorsichtiger Optimismus
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk sowie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gaben sich im Vorfeld der Beratungen vorsichtig optimistisch: "Ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass wir heute und morgen zu einer Einigung mit der Türkei kommen werden", gab etwa Juncker gegenüber Journalisten zu Protokoll. Merkel erklärte, Juncker und Tusk hätten viele rechtliche und politische Fragen inzwischen geklärt. Dabei gehe es um die illegale Migration, die zu stoppen sei und auch darum, dass "jeder Flüchtling individuell betrachtet wird und seine Rechte wahrnehmen kann, wenn es um die Ankunft in Griechenland und die Rückführung in die Türkei geht".
Zahlreiche Bedenken
Zahlreiche andere Staaten meldeten jedoch rechtliche Bedenken an. Er habe einige Zusicherungen erhalten, sei aber noch nicht überzeugt, monierte etwa der luxemburgische Premier Xavier Bettel: "Wir können nichts machen, von dem sich in den nächsten Wochen herausstellt, dass es illegal ist." Auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite erklärte, "wir stehen am Randes des internationalen Rechts".
Wie sollen Rückführungen stattfinden?
Umstritten ist vor allem, wie Schutzsuchende aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden können, ohne gegen das völkerrechtliche Prinzip des "non-refoulement" (Nicht-Zurückweisung) zu verstoßen. "Wer garantiert, dass das nach Menschenrechtsmaßstäben abläuft?", erklärte etwa der Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Wenzel Michalski, gegenüber der APA. Letztlich käme eine Rückführung von Flüchtlingen, die die EU bereits erreicht haben, in die Türkei einer "Massenabschiebung gleich - und die ist verboten", warnte er.
Hier sieht der Entwurf der Gipfelschlusserklärung eine Art Schnellverfahren vor. "Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, werden pflichtgemäß registriert, und jeder Asylantrag wird von den griechischen Behörden in Einklang mit der Asylverfahrensrichtlinie abgewickelt. Migranten, die nicht um Asyl ansuchen, oder deren Antrag für unbegründet oder unzulässig nach der genannten Richtlinie befunden wurde, werden in die Türkei zurückgeführt", heißt es.
Österreich mit Kritik
Vor allem aus Österreich wurden Bedenken an einer möglicherweise voreiligen Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger laut. Die EU dürfe "nicht etwas über Bord werfen, was inhaltlich entscheidend ist", warnte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Bereits zuvor hatte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner eine "Art Aussetzungs- oder Kündigungsklausel" für den Fall gefordert, wenn bei der Umsetzung der Visaliberalisierung Probleme auftreten. Nach Angaben der EU-Kommission hat Ankara bisher 35 von 72 Voraussetzungen für die Reisefreiheit erfüllt.