Atom-Schock

Meer vor Fukushima total verstrahlt

29.03.2011

GIftiges Löschwasser im Meer. Gebiet für mindestens 24.400 Jahre verstrahlt.

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Kein Anzeichen von Entspannung in der Todeszone Fukushima. Die Schutzhüllen der Reaktoren 1 bis 3 des japanischen AKW sind "mit hoher Wahrscheinlichkeit" nicht mehr dicht, erklärte die Atombehörde in Japan. Um die Strahlung zu vermindern sollen die beschädigten Reaktoren jetzt mit Planen abgedeckt werden. Außerdem sei vorgesehen, einen Tanker einzusetzen, um radioaktiv verseuchtes Wasser abzusaugen, berichtete die Zeitung "Asahi Shimbun". Tepco-Chef Masataka Shimizu musste ins Krankenhaus gebracht werden.

Trotz aller Probleme will Tepco eventuell zwei Fukushima-Reaktoren weiterbetreiben. Die Reaktorblöcke 1 bis 4 verschrottet werden, aber ob den Reaktoren 5 und 6 dasselbe Schicksal bevorsteht, will das Unternehmen erst prüfen. Die Regierung ist strikt gegen einen weiteren Betrieb des zerstörten AKW.

Nach dem Fund hochgiftigen Plutoniums (Halbwertszeit 24.400 Jahre!) rief Japans Ministerpräsident Naoto Kan Alarmstufe Rot aus: "Die Katastrophe ist unvorhersehbar."

Der Plutoniumfund im Erdreich 450 Meter vom AKW entfernt sei ein weiterer Beweis, dass es in den Reaktoren Nr. 1, 2 und 3 ­sowie in den Brennstäbe-Becken in Nr. 4 "partielle Kernschmelzen" gibt, so Regierungssprecher Yukio Edano: "Die Lage ist äußerst ernst." Wie gefährlich, das erklärt Risikoforscher Wolfgang Kromp: "Nur ein Millonstel Gramm reicht aus, um bei einem Menschen Lungenkrebs zu erzeugen."

Sorgen bereitet das Wetter. Am Mittwoch werde der aufs Meer wehende Wind seine Richtung ändern. Dann tragen Böen die radioaktiven Partikel aus Fukushima in Richtung der Millionen-Metropole Tokio.

Giftiges Löschwasser droht ins Meer zu strömen
In der AKW-Ruine wird die Arbeit der Helden immer gefährlicher. Das Löschwasser ist höchst radioaktiv. Bis zu 100.000-fach überhöhte Werte wurden gemessen.

Besonders dramatisch ist die Lage in einem Tunnel unter Reaktor eins: Dort ist die giftige Brühe nur mehr wenige Meter von einer Öffnung zu einem Abfluss direkt ins Meer entfernt. Arbeiter schichteten – in einem Akt der Ohnmacht – Sandsäcke auf. Aber offenbar umsonst: Im Meerwasser vor Fukushima wurde eine sehr hohe Konzentration von radioaktivem Jod entdeckt. Die Radioaktivität habe das 3 355-Fache des zulässigen Wertes erreicht.

Das größte Dilemma, so US-Regierungsberater Najmedin Meshkati zu ÖSTERREICH: "Reaktoren und Brennstäbe müssen ständig gekühlt werden, doch dabei fallen immer größere Mengen an verseuchtem Wasser an." Als die Wasserzufuhr gedrosselt wurde, stieg prompt Dienstagmorgen die Temperatur in Reaktor 1 gefährlich an.

Verzweifelt wird versucht, das strahlende Wasser abzupumpen. Doch wohin? Ein 2.839-Liter-Behälter in Reaktor drei ist bereits voll. "Wir haben keinen Platz in den Tanks", warnte Hidehiko Nishiyama von der japanischen Atomaufsicht. Die hohe Strahlenbelastung durch das Giftwasser verlangsamt die Reparaturarbeiten in den kaputten Meilern.

Experten: Sarkophage wie in Tschernobyl denkbar
Laut US-Berechnungen wurden bis 22. März 2,4 Mio. Curie Jod 131 freigesetzt – bereits zehn Prozent des Tschernobyldesasters. Dabei ist die zuletzt steigende Strahlenbelastung in den Kalkulationen noch nicht enthalten. Der AKW-Betreiber TEPCO hat jetzt französische Experten um Hilfe gerufen. Am Ende, so Experten, könnte der Bau von Sarkophagen wie in Tschernobyl nötig werden.

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So gefährlich ist Plutonium

Das hochgiftige Schwermetall wurde gleich an mehreren Stellen rund um den Atommeiler Fukushima entdeckt und sickert auch weiterhin völlig ungehindert ins Erdreich.

Risikoforscher Wolfgang Kromp erklärt: "Plutonium ist ein sehr giftiges Schwermetall. Nur ein Millionstel Gramm reicht aus, um bei einem Menschen Lungenkrebs zu erzeugen." Dringt Plutonium in eine Wunde ein, kann es sich in Leber und Knochenmark ablagern und dort sogar Leukämie auslösen. Gleich einige Hundert Kilogramm Plutonium lagern in Fukushima. Besonders dramatisch: Mit einer Halbwertszeit von 24.400 Jahren wird das Gebiet fast dauerhaft verseucht sein.

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Hilferuf aus AKW-Ruine: "Halten es nicht mehr aus"

Die E-Mails stammen von einem AKW-Arbeiter. Der Mann schildert laut Wall Street Journal einem Kollegen in der TEPCO-Zentrale in Tokio, was sich in der AKW-Ruine abspielt:

"Ich danke für deine aufmunternde Mail, ich hatte geschrieben, damit Menschen über die Lage da draußen Bescheid wissen. Viele Menschen kämpfen unter den schlimmsten Bedingungen. Weinen bringt nichts. Wenn das hier die Hölle ist, müssen wir rauskriechen in den Himmel. Wir ringen darum, dass wir am Ende die Situation bewältigen."

Der Kollege im Hauptquartier antwortet: "Ich habe deine Mail gelesen, mich überkamen Tränen. Wir senken unsere Köpfe jeden Tag zum Gebet, für euch, die gerade die ganze Wucht der Katastrophe abbekommen. Für jene, die an der vordersten Linie kämpfen – umgeben von nichts als Feinden."

Der Arbeiter: "Wir hier haben seit dem Beben durchgearbeitet, ohne Schlaf seit zwei Wochen. Die meisten Arbeiter sind aus der Gegend, viele ihrer Häuser wurden weggespült. Mein eigenes Dorf Namie-machi ist zerstört. Meine eigenen Eltern wurden von dem Tsunami fortgerissen, ich habe keine Ahnung, wo sie sind."

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