Über Spanien

Hier rollte eine neue Mega-Flüchtlingswelle auf uns zu

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Über 22.300 Bootsmigranten angekommen - Madrid vermutet in Mauretanien 300.000 Menschen aus Mali, die übersetzen wollen. 

Anfang der Woche schlug Fernando Clavijo Alarm. "Es kann so nicht weitergehen. Wir haben unsere Grenzen und Kapazitäten schon längst überschritten", stellte der Regionalpräsident der Kanarischen Inseln klar. Er bezog sich auf die jüngste Flüchtlingswelle, welche die spanischen Ferieninseln vor der Westküste Afrikas derzeit überrollt. Die Lage sei "dramatisch", so Clavijo.

Anstieg von 126 Prozent 

Tatsächlich hat die Zahl illegaler Migranten auf den Kanaren im Laufe des Jahres extrem zugenommen. Zwischen dem 1. Jänner und dem 15. August erreichten insgesamt 22.304 illegale Bootsflüchtlinge die Inselgruppe im Atlantik. Das ist ein Anstieg von 126 Prozent im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum, bestätigte das spanische Innenministerium.

Die meisten der afrikanischen Bootsflüchtlinge starten die gefährliche Seeflüchtlingsroute über den Atlantik mittlerweile von südlicheren Staaten wie Gambia, dem Senegal und Mauretanien aus, nachdem die Europäische Union sich mit Marokko erneut über eine verbesserte Kontrolle der Küstengewässer einigen konnte.

Lange Seeroute

Mit fürchterlichen Folgen: "Die Seeroute ist mit über 1000 Kilometern wesentlich länger und damit auch gefährlicher als von der marokkanischen Küste aus", erklärt Helena Maleno von der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation Caminando Fronteras im Gespräch mit der APA. Viele verdursten oder ertrinken auf dem Weg. Verpassen die immer vom Süden herkommenden Boote die östlichsten Inseln El Hierro und La Palma warte auf die Flüchtlinge nur noch der offene Atlantik und damit der sichere Tod, meint Maleno.

Erst vor zwölf Tagen wurde an einem Strand in der Dominikanischen Republik in der Karibik ein afrikanisches Flüchtlingsboot aus Mauretanien mit vierzehn Skeletten entdeckt, welches die Kanaren verfehlte. "Es ist die gefährlichste Seeflüchtlingsroute der Welt", stellt Maleno klar. Experten gehen davon aus, dass rund 25 Prozent der Bootsflüchtlinge auf dem Weg von Westafrika auf die Kanaren ums Leben kommt.

Das sagt das Innenministerium  

Darf man neusten Nachrichten aus dem spanischen Innenministerium glauben und diesen Prozentsatz ansetzen, könnte es bis Jahresende zu einer humanitären Katastrophe kommen. Denn Madrid schätzt, dass in Mauretanien derzeit bis zu 300.000 Flüchtlinge aus dem benachbarten Krisenstaat Mali darauf warten, in einem Boot Richtung Kanaren aufbrechen zu können. Weitere Flüchtlinge wollen vom Senegal und Gambia aus aufbrechen. Die zwischen September und November üblicherweise abnehmenden Winde und Wellen dürfte die Zahl der Migrantenboote noch vervielfachen.

Um den Flüchtlingszustrom aus den westafrikanischen Ländern zu stoppen, wird Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez (PSOE) in der kommenden Woche zu Krisengesprächen nach Mauretanien, Gambia und in den Senegal reisen. Zuvor will er sich allerdings am Freitag auf der Insel La Palma mit dem kanarischen Regionalpräsidenten Clavijo treffen und sich vor Ort ein eigenes Bild der Lage machen.

5.200 minderjährige Migranten  

Fernando Clavijo wird den spanischen Regierungschef vor allem auf die besorgniserregende Zunahme unbegleiteter Minderjähriger auf den Flüchtlingsbooten aufmerksam machen. Es befänden sich bereits 5.200 minderjährige Migranten auf den Inseln. Dabei haben die Aufnahmezentren eigentlich nur Platz für 2.000 Minderjährige. Und bis zum Jahresende rechnet die Regionalregierung damit, dass bis zu 7.000 weitere Minderjährige versuchen werden, von den Küsten Westafrikas die spanischen Ferieninseln und damit Europa zu erreichen.

Apell an Zentralregierung  

Der Regionalchef der Kanaren rief sowohl die Zentralregierung als auch die anderen spanischen Regionen auf dem Festland auf, den Kanaren vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abzunehmen. Doch hier kommen nun vor allem parteipolitische Strategien ins Spiel. Spaniens konservativ regierten Regionen und der konservative Oppositionsführer Alberto Núnez Feijóo (PP) nutzen die Notlage auf den Kanaren, um mit der Migrationspolitik der sozialistischen Minderheitsregierung hart ins Gericht zu gehen.

Vor allem aber die rechtspopulistische Vox-Partei nimmt die steigenden Migrationszahlen zum Anlass, Sánchez Sozialisten politisch unter Druck zu setzen. Es ist ein günstiger Moment: Laut der neusten Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS vom Juni ist die illegale Migration ein immer größeres Problem für die meisten Spanier und rangiert mittlerweile auf Platz 9.

So konnten sich auch die beiden neuen Rechtsparteien die Alianca Catalana und "Se acabó la fiesta" (Die Party ist vorbei) bei den vergangenen Europawahlen im Juni mit ihrer ausländerfeindlichen Propaganda durchsetzen. Mit landesweit 31.155 Flüchtlingen verzeichnet Spanien im Laufe des Jahres einen Anstieg illegaler Migranten von 66 Prozent im Vergleich zu 2023. Neben den Kanaren ist die Lage besonders angespannt in der spanischen Afrika-Exklave Ceuta. Vor allem marokkanische Jugendliche versuchen seit Tagen, die spanische Stadt an der marokkanischen Küste zu erreichen. Viele sogar schwimmend in der Nacht. Hier stieg die Zahl illegaler Migranten im Vergleich zum Vorjahr um 173 Prozent.

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