Island wird zum sechsten Mal innerhalb von neun Monaten Zeuge eines spektakulären Vulkanausbruchs.
Wie zuletzt Ende Mai bahnte sich die glutrote Lava auf einer Halbinsel nahe der Hauptstadt Reykjavik den Weg an die Erdoberfläche, wo sie im Anschluss aus einem schätzungsweise 3,9 Kilometer langen Erdspalt sprudelte. Begleitet wurde der Ausbruch von vielen Erdbeben, darunter eine besonders kräftige Erschütterung der Stärke 4,0, die bis in die Hauptstadtregion zu spüren war.
Heiße Gaswolke
"Der Boden öffnete sich wie ein Reißverschluss", berichtete ein Korrespondent des Rundfunksenders RÚV aus dem Einsatzgebiet auf der Reykjanes-Halbinsel im Südwesten der Nordatlantik-Insel. Nach Angaben des isländischen Wetteramts stieg dort eine heiße Gaswolke etwa einen Kilometer hoch in den Nachthimmel auf. In Livestreams von RÚV war zu sehen, wie sich ein Netz aus orange schimmernden Lava-Adern in der nächtlichen Dunkelheit über erkaltetes Vulkangestein früherer Ausbrüche ergoss.
Nach Tagesanbruch war zunächst vor allem dichter Rauch über dem Vulkangebiet zu sehen. Das Wetteramt berichtete am Vormittag (Ortszeit) davon, dass die Kraft des Ausbruchs seit dem Höhepunkt in der Nacht etwas nachgelassen habe. Die Lava-Aktivität beschränke sich nun vor allem auf zwei Spalten: eine am nördlichen Ende des ursprünglichen Risses und eine weitere, die wiederum etwas nördlich davon entstanden sei.
Das Wetteramt hatte in den vergangenen Wochen vor einem drohenden Ausbruch gewarnt. Zuletzt hatte es immer wieder Erdbeben in dem Gebiet gegeben, während sich unter der Erdoberfläche immer mehr Magma ansammelte - diesmal sogar noch mehr als bei der letzten Eruption im Mai.
Dabei muss man sich die Ausbrüche auf der Reykjanes-Halbinsel nicht wie diejenigen aus einem klassischen Vulkanberg vorstellen. Stattdessen strömt die Lava aus einem länglichen Erdriss, weshalb diese Art von Eruption auch als Spalteneruption bezeichnet wird. In der Regel entsteht dadurch keine große Aschewolke - anders als etwa beim Ausbruch am Vulkangletscher Eyjafjallajökull im Jahr 2010. Dessen kilometerhohe Wolke hatte damals tagelang den internationalen Flugverkehr lahmgelegt.
Rechtzeitig evakuiert
Angesichts der immer wieder auftretenden Ausbrüche und der genauen Beobachtung der Lage durch die Behörden ist Island für Vorfälle dieser Art bestmöglich vorbereitet. Der Fischerort Grindavík, der etwa 40 Kilometer südwestlich von Reykjavik liegt und bei vorherigen Ausbrüchen immer wieder gefährdet war, konnte so erneut rechtzeitig evakuiert werden.
In der Gemeinde mit ihren ursprünglich 4.000 Einwohnern, von denen die meisten bereits längst in die nahe gelegene Hauptstadtregion gezogen sind, waren bei einem Ausbruch im Jänner mehrere Häuser am nördlichen Ortsrand von den Lavamassen erfasst und zerstört worden. Zum Zeitpunkt der Evakuierung waren diesmal nach Behördenangaben nur knapp zwei Dutzend Häuser bewohnt.
Das sagt die Polizei
Diesmal sieht es so aus, dass Grindavík von den Lavamassen verschont bleibt. Bleibe es bei der derzeitigen Lage, fließe keine Lava in Richtung des Ortes, berichtete der Geophysiker Magnús Tumi Gudmundsson nach einem nächtlichen Überflug des Gebietes. "Ich denke, wir können das als gute Nachrichten betrachten", sagte er zu RÚV. Der regionale Polizeichef Úlfar Lúdviksson sprach von einem "günstigen Ort", an dem die Eruption stattfinde.
Frühzeitige Entwarnung wollten die Experten aber nicht geben. Folgen können solche Naturspektakel darüber hinaus auch für die Infrastruktur in der Region und die isländische Fernwärme- und Stromversorgung haben. Der Leiter des Zivilschutzes, Vídir Reynisson, sprach in der Nacht davon, dass die Hauptsorge derzeit bei einer Kaltwasserleitung liege, die jedoch geschützt sei und sich bereits bei früheren Ausbrüchen bewährt habe.
Der Flughafenbetreiber Isavia teilte auf seiner Website mit, dass der Flugverkehr auf Islands nahe gelegenem internationalem Flughafen in Keflavík von der vulkanischen Aktivität nicht beeinträchtigt werde. Das bei Touristen beliebte Geothermalbad Blaue Lagune sollte nach Angaben des Betreibers am Freitag geschlossen bleiben.
Wie lange der Ausbruch diesmal anhält, ließ sich für die Experten erneut nicht abschätzen. Bei vielen der vorherigen Eruptionen hatte sich die Lage oft jeweils nach wenigen Tagen schnell wieder beruhigt. Der letzte Ausbruch dürfte es aber nicht gewesen sein: Forscher gehen davon aus, dass die aktuelle Ausbruchsserie noch Jahrzehnte andauern könnte.
Die Spalteneruptionen auf der Halbinsel lassen sich auf mehrere Vulkansysteme mit unterirdischen Magmakammern zurückführen. Fast 800 Jahre lang gab es dort keinen Ausbruch dieser Art mehr, ehe es im März 2021 zu einer ersten Eruption kam. Seitdem bahnt sich die Lava in der Region immer wieder ihren Weg an die Oberfläche und sprudelt aus länglichen Erdspalten hervor. Allein seit Dezember 2023 gab es nunmehr sechs Vulkanausbrüche in dem dünn besiedelten Gebiet.