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Merkel: Scharfe Maßnahmen zur Klärung des Asylstreits
30.06.2018
Tschechien und Ungarn dementieren Abkommen mit Deutschland.
Kurz vor der Entscheidung im Asylstreit mit der CSU versucht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit überraschend weitgehenden Vorschlägen, eine Eskalation der Regierungskrise abzuwenden. In einem Schreiben an die Koalitionspartner führte sie am Samstag eine Reihe von scharfen Maßnahmen an und berichtete auch von Abkommen mit 14 EU-Staaten, doch dementierten Tschechien und Ungarn umgehend.
CDU und CSU wollen an diesem Sonntag getrennt über das weitere Vorgehen beraten. SPD-Chefin Andrea Nahles verlangte von der CSU, "wieder zur Vernunft zu kommen". Wie aus dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden achtseitigen Schreiben Merkels hervorgeht, sollen anderswo in der EU registrierte Asylbewerber in den geplanten sogenannten Ankerzentren untergebracht werden. Sie sollen dort ein beschleunigtes Verfahren durchlaufen und einer erweiterten Residenzpflicht unterliegen - also Auflagen, damit sie sich nicht aus den Einrichtungen entfernen.
Wirbel um Rückübernahmevereinbarungen
Mit Griechenland und Spanien hat Merkel darüber hinaus weitergehende Rückübernahmevereinbarungen getroffen. Beide Länder haben sich bereit erklärt, bei ihnen registrierte Flüchtlinge zurückzunehmen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden. Dafür kündigte Merkel in dem Schreiben die Einrichtung "grenznaher Rückkehrmechanismen" an.
Daneben haben sich dem Schreiben zufolge Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Litauen, Lettland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Tschechien und Ungarn zu entsprechenden Verwaltungsabkommen bereit erklärt. Österreich befand sich - ebenso wie die auf der "Balkanroute" gelegenen EU-Staaten Slowenien und Kroatien - nicht auf der Liste, auch wenn sich der unionsinterne Streit um möglichen Zurückweisungen an der Grenze von Bayern nach Österreich dreht. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hatte erst am Mittwoch im PULS 4-Interview gesagt, dass Österreich nicht einfach so Migranten zurücknehmen werde, damit sich Deutschland "quasi das Konsultationsverfahren mit Slowenien und Kroatien sparen" könne.
Seehofers Reaktion offen
Offen war zunächst, wie CSU-Chef Horst Seehofer auf die Pläne reagiert. Nach dpa-Informationen beauftragte der Innenminister Experten seines Hauses, diese Maßnahmen zu prüfen. Seehofer will bis zu sechs Ankerzentren eröffnen, in denen Asylbewerber bis zum Ende ihres Verfahrens und einer möglichen Abschiebung wohnen sollen. Die meisten Bundesländer wollen aber keine Ankerzentren bei sich einrichten - die Abkürzung steht für: Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung (AnKER).
Als weitere Maßnahmen nannte Merkel in ihrem Schreiben, Bundespolizisten zur Verstärkung der EU-Außengrenze nach Bulgarien zu schicken - so soll es weniger Einreisen in den grenzkontrollfreien Schengen-Raum geben. Zudem schlägt Merkel vor, den Missbrauch von Schengen-Visa stärker zu bekämpfen. Mit einer strikteren Vergabepraxis "können wir den Visumsmissbrauch und damit die Zahl der Asylersuchen in Deutschland substanziell verringern".
Klärung der Regierungskrise erwartet
Mit Spannung wird für diesen Sonntag eine Klärung in der seit Wochen schwelenden Regierungskrise erwartet. Am Nachmittag kommen in München der Vorstand und die Bundestagsabgeordneten der CSU zusammen, in Berlin beraten Präsidium und Vorstand der CDU. Kern des erbitterten Streits ist, dass Seehofer anderswo in der EU registrierte Migranten notfalls im Alleingang an der deutschen Grenze zurückweisen lassen will. Merkel lehnt ein einseitiges Vorgehen weiter ab, wie sie in dem Schreiben noch einmal betont. Bisher werden drei große Grenzübergänge zu Österreich stichprobenartig kontrolliert.
In dem Schreiben präsentiert Merkel ihre Ergebnisse vom EU-Gipfel in Brüssel und parallel von ihr geführter weiterer Verhandlungen mit einzelnen EU-Ländern. Demnach hat sie von 14 Ländern Zusagen für Verwaltungsabkommen zur beschleunigten Rückführung registrierter Asylbewerber erhalten - darunter Ungarn, Polen und Tschechien, die bisher als scharfe Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik gelten.
Tschechien und Ungarn dementieren
Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis erklärte allerdings am Samstag, diese Darstellung sei "völliger Unsinn". "Deutschland ist nicht an uns herangetreten, und in diesem Augenblick würde ich ein solches Abkommen auch nicht unterzeichnen", sagte er laut einer Mitteilung seiner Regierung. "Es gibt keinen Grund zu verhandeln."
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bestritt ebenfalls, Zusagen zur beschleunigten Rückführung gegeben zu haben. "Das ist eine gewöhnliche Zeitungsente, es ist zu keinerlei Vereinbarung gekommen", sagte der rechtsnationale Politiker der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Die Bundesregierung nahm Babis' Dementi "bedauernd zur Kenntnis", wie ein Sprecher sagte.
Nahles: "Wieder zur Vernunft kommen"
SPD-Chefin Andrea Nahles verlangte angesichts der Ergebnisse von Brüssel von der CSU, "die Instrumentalisierung dieses Themas jetzt einzustellen und wieder zur Vernunft zu kommen". Sie betonte, dass aus ihrer Sicht "Alleingänge und Zurückweisungen an der Grenze vom Tisch sind". Für die geplante Einrichtung zentraler Sammellager in der EU müssten Unterbringungsstandards verbessert werden. Es dürften keine geschlossenen Einrichtungen sein, was Merkel auch versichert habe. In den Zentren müsse jeder ein rechtsstaatliches Verfahren wahrnehmen können. Die Kanzlerin hatte die Koalitionspartner nach dem Gipfel am Freitagabend in getrennten Telefonaten informiert.
Die CSU-Spitze reagierte zunächst nicht öffentlich auf die am Samstag bekannt gewordenen Punkte aus Merkels Schreiben. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) begrüßte die EU-Beschlüsse, sieht aber weiter Bedarf für nationale Maßnahmen. "Natürlich ist das, was in Brüssel erreicht wurde, mehr als ursprünglich gedacht", sagte er vor einem CSU-Bezirksparteitag. Ohne den Druck der CSU wären die Gipfelbeschlüsse nicht zustande gekommen. Zugleich betonte er, das Ergebnis gestatte nationale Maßnahmen. Deutschland müsse handeln.
"Die Kanzlerin hat alles getan"
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Frieser sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", in Bezug auf die Forderungen seiner Partei seien Merkels Vorschläge "weder wirkungsgleich noch adäquat". Wenn jemand woanders bereits Asyl beantragt habe, "muss er an der Grenze unmittelbar zurückgeführt werden". Bayerns Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner rief zur Mäßigung auf. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Europa-Politiker Manfred Weber sagte im "Tagesthemen"-Interview, die nächsten Tage müssten zeigen, ob die Ergebnisse des Gipfels den Streit beenden. "Die Kuh ist noch nicht vom Eis."
Aus der CDU bekam Merkel Unterstützung. "Die Kanzlerin hat alles getan, um zu einer Lösung des Konflikts zu kommen", sagte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) dem "Tagesspiegel" (Sonntag). Die Vereinbarungen beim EU-Gipfel ließen ihn auf eine Einigung der Union hoffen. Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sagte der dpa, eine Lösung der Migrationsprobleme könne nicht auf Knopfdruck geschehen. "Aber bei Umsetzung der Vorstellungen der Kanzlerin können schon in Wochen echte Verbesserungen bei der Rückführung von Flüchtlingen erzielt werden."