Es gebe erstmals eine Chance auf eine gesamteuropäische Lösung.
Vor dem EU-Gipfel haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die EU-Kommission für den umstrittenen Flüchtlingspakt mit der Türkei geworben: Erstmals biete sich die Chance auf eine "dauerhafte und gesamteuropäische Lösung", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch. Die EU-Kommission sagte zu, es werde "keine kollektiven Abschiebungen" geben.
Nur zehn Tage nach dem letzten Flüchtlingsgipfel treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs ab Donnerstag erneut in Brüssel, um den Pakt mit der Türkei zu beschließen. Ankara hat angeboten, alle neu ankommenden Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, um den kriminellen Geschäften der Schlepper entgegenzuwirken. Wegen zahlreicher Einwände und Bedenken könne der Pakt aber auch noch scheitern, warnen hohe EU-Vertreter.
Optimismus bei Merkel
Merkel gab sich optimistisch: Der Gipfel könne eine "entscheidende Wegmarke" werden, sagte sie vor dem Deutschen Bundestag und trat Einwänden aus der CSU entgegen, die EU öffne der Türkei als Gegenleistung die Tür zur Mitgliedschaft und belohne Ankara mit der baldigen Visafreiheit.
Ein Vorziehen der vereinbarten Visa-Liberalisierung vom Herbst auf den Sommer heiße nicht, dass die Bedingungen dafür gesenkt würden. Und die Gespräche über den EU-Beitritt blieben "ergebnisoffen", sagte Merkel. Bei den Streitpunkten Menschenrechte und Pressefreiheit sollten ebenfalls "keine Abstriche" gemacht werden.
Eigene Werte nicht über Bord werfen
Auch die österreichische Regierungsspitze versprach am Mittwoch bei einer Erklärung im Nationalrat im Falle eines Paktes der Union mit der Türkei die eigenen Werte nicht über Bord zu werfen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sich Europa ausliefere, betonte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Es gebe keinen inhaltlichen Abtausch zwischen den europäischen Grundwerten und dem EU-Beitrittsprozess bzw. der Visa-Liberalisierung, versicherte auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Eine Vereinbarung mit der Türkei sei aber nötig.
Menschenrechtsgruppen warnen eindringlich, Abschiebungen sämtlicher Flüchtlinge aus Griechenland zurück in die Türkei seien unvereinbar mit dem internationalen Asylschutz. In der Gipfelerklärung vom 7. März ist wörtlich von "umfassenden, großangelegten und beschleunigten Rückführungen aller irregulären Migranten" die Rede.
"Keine kollektiven Abschiebungen"
Am Mittwoch sagte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans zu, das Recht auf ein individuelles Asylverfahren werde "nicht außer Kraft gesetzt", es werde "keine kollektiven Abschiebungen" von Griechenland geben und die Möglichkeit zur Berufung gegen Abschiebe-Entscheidungen bleibe gewahrt. Dennoch müsse die Prüfung "nicht unbedingt Monate dauern".
Neben der Visafreiheit, schnelleren Beitrittsverhandlungen und insgesamt sechs Milliarden Euro für die Flüchtlinge im eigenen Land verlangt Ankara auch, dass die EU-Länder für jeden aus Griechenland zurückgenommenen Syrer einen anderen Syrer aus der Türkei aufnehmen.
Umsiedlungsprogramme
Dabei könne es sich aber nur um eine "vorübergehende und außergewöhnliche Maßnahme" handeln, sagte EU-Kommissionsvize Timmermans. Es stünden noch 72.000 Plätze aus schon vereinbarten aber noch nicht umgesetzten Umsiedlungsprogrammen bereit, die dafür genutzt werden könnten. Mehrere osteuropäische Länder wollen dabei aber weiterhin nicht mitmachen.
Als einen der kniffligsten Punkte hatte Merkel nach dem letzten Gipfel den Konflikt zwischen Zypern und der Türkei ausgemacht. Nikosia drohte noch am Dienstag mit einem Veto gegen die Ausweitung der Beitrittsverhandlungen, wenn Ankara die dortige Regierung nicht anerkenne. Die Verhandlungen mit der Türkei sollten nun als "Werkzeug" eingesetzt werden, um eine Lösung für die seit 1974 geteilte Mittelmeerinsel voranzubringen, sagte ein hoher EU-Diplomat am Mittwoch.
Warnung der Türkei
Die Türkei warnte die EU am Mittwoch davor, dass Zypern das geplante Flüchtlingsabkommen infrage stellen könnte. "Wenn man einen Schritt zu einer Lösung gemacht hat, wenn ein Abkommen über ein ganzes Paket erreicht wurde, sollte man nicht zulassen, dass dies durch die Laune eines EU-Mitglieds ruiniert wird", sagte der Minister für EU-Angelegenheiten, Volkan Bozkir, in einem TV-Interview. Merkel sagte, angesichts des Widerstands Zyperns gegen die Eröffnung neuer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen gebe es noch schwierige Gespräche vor dem Gipfel, so dass sie den Ausgang noch nicht vorhersagen könne.
Angesichts der unvermindert dramatischen Lage zehntausender Flüchtlinge in Griechenland verurteilte Papst Franziskus am Mittwoch die Länder an der Balkanroute, die "ihre Türen verschließen". Bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz würdigte er die Länder und Regierungen, "die ihr Herz und ihre Türen öffnen".