Vor Abstimmung

Militär stürmte Parlament: Dramatische Szenen in Seoul

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Armee sollte offenbar Abgeordnete an Abstimmung über Kriegsrecht hindern - 190 der 300 Abgeordneten schaffen es in den Plenarsaal

"Schämst du dich nicht?", schleudert An Gwi-ryeong dem Soldaten entgegen. Mit bloßen Händen versucht die Oppositionspolitikerin ihm sein Gewehr abzunehmen, wie auf einem Video zu sehen ist. Dramatische Szenen wie diese spielten sich in der Nacht auf Mittwoch im südkoreanischen Parlament ab, nachdem Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht verhängt hatte und die Armee die Nationalversammlung stürmte.

Der ungleiche Kampf zwischen An und dem Bewaffneten dauert mehr als zehn Sekunden. Als An schließlich ablässt, richtet der Soldat die Waffe auf die Frau. "Ich hatte Angst um mein Leben", sagt An am Morgen der Nachrichtenagentur AFP. "Aber ich musste sie um jeden Preis aufhalten." An ist Sprecherin der Demokratischen Partei und eine von vielen Abgeordneten und Parlamentsmitarbeitern, die die Nationalversammlung gegen die anrückende Armee verteidigte.

Nach einem Streit über den Haushalt hatte Präsident Yoon am Dienstagabend überraschend das Kriegsrecht verhängt - das erste Mal seit über vier Jahrzehnten. Hubschrauber setzten Soldaten auf dem Gelände ab. Andere Soldaten kletterten über Absperrungen und schlugen Fenster ein, um in die Nationalversammlung einzudringen, wie Kim Min-ki, der Generalsekretär des Parlaments, Journalisten schildert.

Das sei eine "verfassungswidrige und illegale" Invasion gewesen, sagt er. "Sie sind mit militärischer Gewalt auf das Parlamentsgebäude losgegangen und haben damit tiefe Wunden in den Herzen der Menschen hinterlassen."

Armee sollte offenbar Abgeordnete an Abstimmung über Kriegsrecht hindern

Offenbar sollte die Armee die Abgeordneten daran hindern, in einer eilig einberufenen Dringlichkeitssitzung einen Antrag zur Aufhebung des Kriegsrechts zu beschließen. Denn einer solchen Resolution muss der Präsident laut Verfassung Folge leisten. Doch Parlamentarier, ihre Mitarbeiter und Demonstranten leisteten Widerstand - mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Videos von Überwachungskameras zeigen, wie Demonstranten vor dem Parlament Dutzende Soldaten wegzerren. Drinnen stapeln Angestellte Sofas, Stühle und Tische vor den Zugängen zum Plenarsaal. Soldaten stürmen mit gezückten Waffen auf die Barrikade zu, während die Mitarbeiter noch mehr Stühle und Schreibtische heranschaffen. "Geht nach Hause, ihr Bastarde!", schreit ein Angestellter, ein anderer schleudert den Bewaffneten einen Feuerlöscher entgegen.

Draußen hindern Reihen von Polizisten Abgeordnete, das Parlament zu betreten. "Einige mussten über den Zaun klettern, um hineinzukommen und über die Resolution abzustimmen", sagt Shin Chang-sik, ein Parlamentarier der Opposition. Das Kameramaterial zeigt, wie der Oppositionspolitiker Lee Jun-seok an der Blockade der Beamten scheitert. "Sie behindern die Abgeordneten an der Ausübung ihrer offiziellen Pflichten", ruft er den Polizisten zu. Hinein lassen sie ihn dennoch nicht.

190 der 300 Abgeordneten schaffen es in den Plenarsaal

190 der 300 Abgeordneten schaffen es dennoch in den Plenarsaal. Um 1.01 Uhr morgens (17.01 Uhr MEZ) beginnt ihre Dringlichkeitssitzung, zwei Minuten später votieren sie einstimmig für die Aufhebung des Kriegsrechts. Draußen jubeln die Demonstrierenden, drinnen beginnen die Soldaten mit ihrem Rückzug. Es dauert eine Stunde, bis der letzte das Gebäude verlassen hat, kein einziger Schuss ist gefallen. Zurück bleiben nur kaputte Möbel und zerbrochene Fenster - und eine fassungslose Bevölkerung.

"Ich war so wütend, dass ich letzte Nacht kein Auge zugetan habe. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass Yoon ein für alle Mal abgesetzt wird", sagt Kim Min-ho. "Wie kann so etwas im 21. Jahrhundert passieren?" Der 50-Jährige ist einer von Tausenden, die am Mittwoch gegen den Präsidenten auf die Straße gehen - auch wenn der um halb fünf Uhr morgens das Kriegsrecht wieder aufhob. Die Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf.

Viele sind schockiert, dass das Land, das jahrzehntelang von autoritären Regimen beherrscht wurde, so kurz davor stand, nach fast 40 Jahren Demokratie die Uhr wieder zurückzudrehen. "Es war wie aus einem Geschichtsbuch", sagt Park Su-hyung. "Unsere Demokratie wird mit Füßen getreten, wenn wir Yoon auch nur einen Moment länger im Amt halten." Das will auch die Opposition verhindern und leitete ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatschef ein.

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