Eine Woche nach Festnahme
Milliardärin kauft Julian Assange frei
14.12.2010
Triumph für Julian Assange in London: Ein Richter ließ ihn jetzt gegen Kaution frei.
Der vollgerammelte Gerichtssaal im Londoner Stadtteil Westminster brach in frenetischen Jubel aus: Gerade hatte der Richter die Freilassung von Assange angeordnet, die Odyssee der sieben Tage in Einzelhaft in der Londoner Anstalt Wandsworth kam zu einem Ende. Die Kaution wurde auf 283.000 Euro festgesetzt – als „Sicherheit“, dass der sonst als Phantom durch die Welt reisende Aufdecker nicht wieder abtaucht. Nach der Entlassung soll Assange mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden. Dazu wurden zu bestimmten Tageszeiten Ausgangssperren verhängt. Jeden Tag um 18 Uhr muss er sich bei der Polizei melden. Der Gründer des Londoner Journalistenklubs Frontline Club, Vaughan Smith, der ihn bereits vor der Festnahme am 7. Dezember versteckte, bietet dem Aktivisten in seiner Riesenvilla Unterschlupf.
Schwedische Behörden legen Beschwerde ein
Die
schwedischen Behörden haben unterdessen Beschwerde gegen eine Freilassung
von Assange eingelegt. Wie ein Londoner Richter am Dienstag sagte,
muss über den Antrag innerhalb von 48 Stunden entschieden werden. So lange
muss Assange in Haft bleiben.
Vorwurf der
Vergewaltigung
Assange war wegen eines von Staatsanwälten
in Schweden ausgestellten Interpol-Haftbefehls zunächst verhaftet worden: Es
wird im „Vergewaltigung“ und „sexuelle Belästigung“ vorgeworfen. Doch laut
jüngsten Reportagen geht es in der umstrittenen Klage eher um Sex ohne
Kondom mit zwei Schwedinnen. Um eine Berufung in letzter Sekunde aus
Schweden abzuwarten, war er zunächst jedoch wieder ins Gefängnis geführt
worden.
Ex-Freundin von Hugh Grant und Michael Moore
spenden
Hitzig wurde im Gerichtssaal argumentiert, dass
die Schweden-Sexklage vor britischem Recht nicht standhalten würde. Für
Assange ist der Haftbefehl bloß ein „Vorwand“, um ihn via Stockholm an die
USA auszuliefern. Nach der Veröffentlichung von 250.000 US-Geheimmemos
avancierte er dort zum Staatsfeind Nr. 1. Nahe Washington, sagte sein
Anwalt, berate bereits ein geheimes Geschworenengericht (Grand Jury) über
eine strafrechtliche Anklage.
Doch mit der Verhaftung war Assange für viele erst zum Märtyrer im Kampf um die Meinungsfreiheit geworden. Vor Gericht verteidigte ihn Staranwalt Geoffrey Robertson, der einst Autor Salman Rushdie vor dem Mullah-Zorn schützte. Milliarden-Erbin Jemima Khan, Ex-Freundin des Filmstars Hugh Grant, hatte die Bezahlung der Kaution angeboten. Auch US-Kult-Dokufilmer Michael Moore spendete.
Assange geht in die Offensive: Er kritisierte Firmen, die keine
Spendenzahlungen mehr abwickeln, darunter Visa, MasterCard und PayPal. Er
appellierte: „Ich rufe die Welt auf, meine Arbeit zu beschützen.“
H. Bauernebel
Seite 2: Lesen Sie den Live-Ticker nach: So war Assanges Tag vor Gericht:
16:30 UHR: KAUTION GEWÄHRT: ASSANGE KOMMT FREI.
16:19 Uhr: Detail am Rande: Im Gefängnis konnte Assange nur den "Daily Express" lesen. Sein Konterfrei auf dem Time Magazin hat Assange somit noch nicht gesehen, wird getwittert.
16:16 Uhr: Nach wie vor protestieren lauthals Assange-Anhänger vor dem Gebäude. Sie fordern die Freilassung des Wikileaks-Chefs.
16:09 Uhr: Zu dem Geld wird dem Gericht eine Adresse angeboten, unter der Assange permanent anzutreffen wäre - mit Ausgangssperre
16:01 Uhr: Sarah Saunders, eine Restaurant-Designerin und gute Freundin von Assange, unterschreibt vor Gericht nun ein Dokument über 150.000 Pfund als Kaution für den Wikileaks-Boss.
15:51 Uhr: Jetzt werden dem Richter Details für eine Kaution für Assange dargelegt: 150.000 Pfund, elektronische Fußfessel, Reisebeschränkungen und Ausgangssperre.
15:47: Und er (Anm.: der Richter) legt nach: "Das Gericht hat bereits festgestellt, dass bei Herrn Assange hohe Fluchtgefahr besteht. Daran habe sich jetzt nichts geändert."
15:41 Uhr: Jetzt ist der Richter am Wort - er sagt wörtlich: "Je gewichtiger der Fall, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Angeklagte untertaucht, je schwächer der Fall wiegt, desto unwahrscheinlicher ist es."
15:35 Uhr: Der Staatsanwalt trägt jetzt Gründe vor, weshalb Assange nicht auf Kaution freigelassen werden soll.
15:31 Uhr: Zahlreiche Prominente kommen zu der Anhörung, darunter auch Bianca Jagger
15:26 Uhr: Assange trägt einen schwarzen Anzug, dazu ein offenes weißes Hemd. Über twitter schreibt die Friedensaktivistin Heather Brook: "Assange im Gericht. Er sieht blasser aus als letzte Woche".
15:16 Uhr: Assanges Anwalt äußert sich zuversichtlich über die Freilassung seines Mandanten auf Kaution. Dieser sei bereit, eine elektronische Fußfessel zu tragen.
15:08 Uhr: Und tatsächlich: Den Fotografen gelingt es, den Wikileaks-Boss im Polizeiauto zu fotografieren
15:06 Uhr: Als Assange zum Gebäude gebracht wird, belagern Fotografen das Polizeiauto. Kameras werden gegen die Fensterscheiben gehalten, um einen Schnappschuss zu ergattern.
15:05 Uhr: Unzählige Sympathisanten des WikiLeaks-Chefs haben sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Es kommt zu Rangeleien mit der Polizei.
14:54 Uhr: Auch Assanges Anwalt, Marc Stevens, trifft ein.
14:44 Uhr: Vor dem Gericht taucht MilliardärstochterJemima Kahn auf. Sie will für Assange die Kaution stellen.
14:40 Uhr: Showdown in London: Der Wikileaks-Boss will gegen Kaution freikommen. Verfolgen Sie hier jetzt die Entwicklung live
Hintergrund:
Assange soll in Schweden wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung zweier Frauen befragt werden. Er hat die Vorwürfe zurückgewiesen und von einer Intrige gesprochen. Die australische Rundfunkgesellschaft Seven Network berichtete unter Berufung auf Assanges Mutter Christine am Dienstag, der 39-Jährige halte an seinen Überzeugungen und Idealen trotz aller Schwierigkeiten fest.
Kaution abgelehnt
Ein Richter in London hatte
vergangene Woche entschieden, dass Assange in Haft bleiben muss und
nicht auf Kaution auf freien Fuß darf, da Fluchtgefahr bestehe. Assange
und seine Anwälte argumentieren, bei dem Haftbefehl aus Schweden handle
es sich um eine aus den USA gesteuerte Aktion.
600.000 Unterschriften für WikiLeaks
Die Zahl der
Unterstützer der umstrittenen Enthüllungsplattform WikiLeaks wächst
weiter. Eine
Online-Petition der Internetseite Avaaz.org wurde bis zum
Montagnachmittag von fast 600.000 Menschen unterzeichnet. 300.000
Unterschriften wurden alleine in den ersten 24 Stunden gesammelt, eine
Million Unterstützer sollen innerhalb einer Woche gefunden werden.
"Einschüchterungs-Kampagne ist falsch"
In der
Petition wird dazu aufgerufen, "die demokratischen Prinzipien und die
Gesetze zur freien Meinungsäußerung und zur Pressefreiheit zu
respektieren". Zudem wird an die USA und weitere Regierungen appelliert,
Repressionen gegen WikiLeaks und seine Partner "sofort zu beenden".
Denn: "Die massive Einschüchterungs-Kampagne gegen WikiLeaks ist falsch,
gefährlich und verstösst gegen Rechtsstaatlichkeit", heißt es weiter
WikiLeaks hatte Ende November mit der umstrittenen Veröffentlichung von Geheimdepeschen der US-Diplomatie im Internet begonnen. Die US-Regierung drohte deswegen wiederholt mit juristischen Schritten.