Brexit

Minister wollen May zum Rücktritt zwingen

24.03.2019

Die britische Premierministerin Theresa May steht angesichts des Brexit-Chaos immer stärker unter Druck. 

Zur Vollversion des Artikels
© Getty Images
Zur Vollversion des Artikels
Sie könnte schon bald von ihrem Kabinett zum Rücktritt gezwungen werden, wie britische Medien am Sonntag berichteten. Demnach steht die Regierungschefin vor einer Schicksalswoche. Eine Regierungssprecherin sprach am Sonntag von "Spekulationen".
 

Laut Medienberichten wollen elf Regierungsmitglieder May stürzen

Der "Times" zufolge gibt es Überlegungen, dass der EU-freundliche Vize-Premier David Lidington als Interimsregierungschef einspringen könnte. Er soll demnach einen neuen Kurs für den EU-Austritt ausloten und im Herbst für einen dauerhaften Premierminister Platz machen. Die Zeitung berief sich auf elf ungenannte Regierungsmitglieder, die May stürzen wollen.

"Das Ende ist nah"

"Es ist heute Nacht ein ausgewachsener Kabinetts-Putsch im Gange", schrieb der Politik-Redakteur Tim Shipman am Samstagabend auf Twitter unter Berufung auf Gespräche mit den Ministern. "Das Ende ist nah", zitierte Shipman einen von ihnen, ohne den Namen zu nennen. "Sie wird in zehn Tagen weg sein."

 

Lidington soll May folgen

Lidington ist seit Jänner 2018 Mays Kabinettschef. Zuvor war er unter anderem Justizminister und Staatssekretär im Außenministerium. Er agierte unauffällig und zeigte sich May gegenüber loyal. Britischen Medien zufolge hat er wegen seiner Haltung zum Brexit auch den Spitznamen "Mr Europa"; er gelte als "Mann ohne Feinde im Unterhaus". Der 62-jährige Vater von vier Kinder ist sehr religiös. Er studierte Geschichte an der renommierten Universität Cambridge.
 

Umweltminister Gove wird auch als Nachfolger gehandelt

Der "Daily Mail" zufolge hat auch der gut vernetzte Umweltminister Michael Gove seinen Hut als Nachfolger von May in den Ring geworfen. Nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 unterstützte er zunächst Boris Johnson bei seiner Kandidatur für das Amt des Premierministers. Im letzten Moment entschied sich der Brexit-Anhänger, selbst zu kandidieren - damals hatte es nicht geklappt. Der frühere Journalist gilt als ehrgeizig. Er war unter anderem Justizminister.
 

Brexit-Aufschub bis mindestens 12. April zugestimmt

Für den EU-Austritt ist der Ausgang des politischen Bebens in London von entscheidender Bedeutung. Die EU hatte vorige Woche einem Aufschub des Brexits bis mindestens 12. April zugestimmt. Sollte im Machtkampf ein harter Brexit-Befürworter May stürzen, würde ein baldiger chaotischer Austritt ohne Vertrag wahrscheinlich - womöglich doch schon Ende dieser Woche. Denn das Unterhaus muss die Abmachung mit der EU, das bisherige Austrittsdatum 29. März zu verschieben, in den nächsten Tagen noch formal in britischem Recht verankern.
 
Würde indes ein gemäßigter Konservativer wie Lidington May ersetzen, könnten die Chancen eines geregelten Ausscheidens oder einer langen Verschiebung des Brexits steigen. Die EU kann nach den Beschlüssen beim Gipfel vorige Woche nun nur zuschauen, wie es in Brüssel heißt.
 

Premierministerin May steht vor einer dritten Abstimmungsniederlage im Parlament

Die Premierministerin steht nur Tage vor dem eigentlich geplanten Brexit-Termin vor einer dritten Abstimmungsniederlage im Parlament mit ihrem Austrittsabkommen. Zwei Mal, Mitte Jänner und Mitte März, war sie mit ihrem ausgehandelten Austrittsabkommen bereits krachend gescheitert. Die EU stimmte einer Verschiebung des EU-Austritts zwar zu, doch in London scheint die Geduld mit der Premierministerin weitgehend am Ende zu sein.
 

Brexit-Gegner werden lauter und demonstrieren auf den Straßen

Der Widerstand der Brexit-Gegner im Land nimmt auch auf der Straße weiter zu. An einer Anti-Brexit-Demonstration in London beteiligten sich am Samstag nach Angaben des Veranstalters People's Vote mehr als eine Million Menschen aus allen Teilen Großbritanniens. Es sei eine der größten Demos in der Geschichte des Landes gewesen. Die Polizei gab dazu keine Schätzungen ab. Brexit-Hardliner zweifelten die Angaben über die hohe Teilnehmerzahl an.
 
Auf einer Kundgebung zum Abschluss des Marsches vor dem Parlament hagelte es Kritik an May. "Premierministerin, Sie haben die Kontrolle über diesen Prozess verloren. Sie stürzen das Land in ein Chaos; lassen Sie das Volk die Kontrolle übernehmen", sagte der stellvertretende Chef der oppositionellen Labour-Partei, Tom Watson.
 
Die Organisatoren fordern ein zweites Referendum, bei dem die Bürger über den endgültigen Brexit-Deal abstimmen dürfen. Viele Demonstranten hatten während des Marsches bei gutem Wetter blaugelbe Europa-Fahnen dabei und waren in diesen Farben gekleidet. An dem Protest nahmen auch Familien teil. "Ich bin sieben Jahre alt und demonstriere für meine Zukunft", stand auf dem Schild eines Kindes.
 
Zu den Teilnehmern an der Veranstaltung gehörten Schauspieler wie Lena Headey ("Game of Thrones"), Musiker, der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan und Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon.
 
Eine Online-Petition für den Verbleib Großbritanniens in der EU steuert inzwischen auf fünf Millionen Unterzeichner zu. Zeitweise war die Webseite wegen des Ansturms lahmgelegt. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100 000 Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen.
 
May übte mit einem Brief mehr Druck auf ihre Abgeordneten aus. In dem Schreiben heißt es, dass die Parlamentarier womöglich doch nicht zum dritten Mal über das Brexit-Abkommen abstimmen könnten. Sie würde den Deal nur dann wieder zur Abstimmung vorlegen, falls sich eine ausreichende Unterstützung abzeichne, stellte May klar. Ansonsten müsse Großbritannien in Brüssel um einen weiteren Aufschub bitten, was aber eine Teilnahme an der Europawahl bedeuten würde.
 
Unklar ist noch, wann im Parlament zum dritten Mal über den Deal abgestimmt werden könnte. Als möglicher Termin gilt der Dienstag. Zunächst wird am Montag über das weitere Vorgehen debattiert. Am Mittwoch oder Donnerstag muss die Regierung das EU-Austrittsgesetz verändern. Dort ist noch der 29. März als Austrittsdatum festgeschrieben.
 
Sollte das Parlament im dritten Anlauf dem Abkommen zustimmen, tritt Großbritannien am 22. Mai in geordneter Weise aus der EU aus. Gibt es aber ein drittes Nein, muss London bis zum 12. April erklären, wie es weitergehen soll - und die anderen EU-Länder müssten dem Plan zustimmen. Denkbar wäre eine Verschiebung um mehrere Monate, verknüpft zum Beispiel mit einer Neuwahl in Großbritannien.
 
Ursprünglich wollte Großbritannien die Europäische Union schon am kommenden Freitag (29. März) verlassen. Doch das Parlament ist so zerstritten, dass der Termin nicht mehr zu halten war.
 

Finanzminister stärkt May Rücken nach Putsch-Gerücht

Der britische Finanzminister Philip Hammond rechnet nach eigenen Worten nicht mit einem Putsch gegen Premierministerin Theresa May im Ringen um den Brexit. "Nein, ich glaube gar nicht, dass dem so ist", antwortete er dem Sender Sky am Sonntag auf die Frage nach Berichten über einen möglicherweise bevorstehenden Aufstand hochrangiger Minister und danach, ob May vor dem Aus stehe.
 
Ein Austausch der Premierministerin würde nicht helfen, sondern sei derzeit reine Selbstbeschäftigung. "Ich bin realistisch insofern, dass wir möglicherweise keine Mehrheit für den (Brexit-)Deal der Premierministerin hinbekommen werden. Wenn dies geschieht, wird das Parlament sich entscheiden müssen, wofür es ist - nicht nur, was es ablehnt."
 

Britischer Brexit-Minister warnt vor Neuwahl

Der britische Brexit-Minister Steve Barclay hat vor einer Neuwahl gewarnt, falls das Parlament diese Woche das Heft des Handelns im Ringen um den EU-Austritt an sich reißt. Dies könne geschehen, wenn sich die Abgeordneten hinter Vorschläge stellten, die den Plänen der Regierung widersprächen.
 
"Am Ende wäre die logische Konsequenz, dass das Risiko einer Neuwahl steigt, da es womöglich dazu kommt, dass das Parlament der Exekutive ein Vorgehen vorschreibt, das ihren Wahlversprechen entgegensteht", sagte Barclay am Sonntag der BBC. Premierministerin Theresa May war es zuletzt nicht gelungen, eine Mehrheit für den von ihr ausgehandelten Brexit-Deal zu erhalten. Damit steckt die Regierung in der Sackgasse. Kommende Woche könnte es nun zu Probeabstimmungen kommen, um herauszufinden, welche Brexit-Regelung das Unterhaus bevorzugt.
 
 
Zur Vollversion des Artikels