Deutschland
Missbrauch: 100 Fälle an Jesuiten-Kolleg
15.02.2010
Beim zweitägigen Krisengipfel im Vatikan zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Irlands standen die deutschen Fälle am Dienstag in Rom nicht zur Debatte.
Im Missbrauchsskandal an Jesuiten-Kollegs und anderen katholischen Schulen in Deutschland schnellt die Zahl der Opfer in die Höhe. "Es sind inzwischen über 100 Fälle, die sich am Canisius-Kolleg oder bei mir gemeldet haben", sagte die vom Jesuiten-Orden mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragte Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue am Montag der Deutschen Presse-Agentur dpa. Nicht alle Opfer hätten das Canisius-Kolleg in Berlin besucht. Die meisten betroffenen Schüler kämen jedoch von den drei Jesuiten-Kollegs - neben Berlin das Kolleg St. Blasien im Schwarzwald und das Bonner Aloisiuskolleg. Raue möchte noch in dieser Woche einen Zwischenbericht zu dem Missbrauchsskandal vorlegen.
Opferzahl dreistellig
Erste Missbrauchsfälle aus den 70er und
80er Jahren waren am 28. Jänner in Berlin öffentlich geworden. Dann kamen
weitere Taten von drei beschuldigten Jesuiten-Patern in Hamburg, Hildesheim,
Göttingen, Hannover, im Schwarzwald und in Bonn ans Licht. Die bisher
bekannte Zahl der Opfer lag bei mehr als 30.
Fälle liegen teilweise 50 Jahre zurück
Zuvor hatte
bereits der Rektor des Berliner Jesuiten-Gymnasiums, Pater Klaus Mertes, der
"Berliner Zeitung" (Montag) gesagt, er könne sich vorstellen, dass die
Opferzahl inzwischen dreistellig sei. Auch im Bistum Hildesheim wurden neue
Missbrauchsfälle bekannt, die teilweise mehr als 50 Jahre zurückliegen. Ein
Fall wurde auch aus der evangelischen Kirche bekannt. Die Kirchengemeinde
Geesthacht (Schleswig-Holstein) suspendierte ihren Kantor wegen des
Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines 14-jährigen Mädchens vom Dienst.
Finanzielle Entschädigung
Bei der Berliner Rechtsanwältin
Manuela Groll haben sich inzwischen 20 Betroffene gemeldet, die aber nicht
alle weiter betreut würden. "Acht oder neun Opfer möchten eine finanzielle
Entschädigung", sagte Groll. Diese Betroffenen sagten ganz klar: "Eine
Entschuldigung reicht uns nicht. Wir hätten gern eine andere Geste, die
wirklich zeigt, dass bereut wird", schilderte die Anwältin. Mit dieser
zivilrechtlichen Aufforderung werde sie sich demnächst an den Jesuiten-Orden
wenden, sagte Groll. Denkbar wäre, dass der Orden "als Zeichen der
Wiedergutmachung" einen Fonds zur Entschädigung einrichten könnte.
Warten auf den Zwischenbericht
Der Jesuiten-Orden in Deutschland
wartet vor der Einleitung weiterer Schritte auf den Zwischenbericht, sagte
der Sprecher des in München ansässigen Jesuiten-Ordens, Thomas Busch, der
dpa. Für die Ausweitung des Missbrauchsskandals an dem Berliner Gymnasium
lägen dem Orden keine eigenen Hinweise vor. "Sinnvollerweise melden sich die
Opfer nicht beim Orden, sondern bei der Frau Raue oder der
Staatsanwaltschaft", sagte Busch.
Worte der Entschuldigung
Zum Punkt möglicher finanzieller
Entschädigungen der Opfer sagte der Sprecher, der Orden warte ab, was die
Opfer dazu zu sagen hätten. "Für uns ist entscheidend, welche Erwartungen
die Opfer an uns formulieren. Wir wollen nicht vorgeben, was wir für richtig
für die Opfer hielten", sagte Busch. Vielleicht legten die Betroffenen auf
anderes Wert wie auf Worte der Entschuldigung oder die Täter mit dem
Missbrauch zu konfrontieren. "Dann werden wir über alles sprechen." Doch der
Orden könne nicht von vornherein einen Blankoscheck ausstellen, sagte Busch.
"Möglichkeit zur Selbstreform"
Pater Mertes, der
Ende Jänner die Missbrauchsfälle vor 30 Jahren an seiner Schule öffentlich
gemacht hatte, betonte erneut die Verantwortung der Schule und des Ordens.
"Die katholische Kirche hat die Möglichkeit zur Selbstreform. Aber sie muss
von innen kommen", sagte er der "Berliner Zeitung". Vor allem gehe es darum,
den Opfern zu helfen. "Missbrauch ist Mord an der Seele."
Beim zweitägigen Krisengipfel im Vatikan zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Irlands standen die deutschen Fälle am Dienstag in Rom nicht zur Debatte.