In Deutschland werden zunehmend auch Verdachtsfälle in evangelischen Einrichtungen bekannt.
Erst erschütterte der Missbrauchsskandal die katholische Kirche Deutschlands - jetzt werden auch zunehmend Verdachtsfälle in evangelischen Einrichtungen bekannt. Am Montag teilte die Evangelische Kirche im Rheinland mit, dass sie in drei Fällen ermittele. Bei der Frühjahrstagung der bayerischen Landessynode in Weiden räumte der Landesbischof Johannes Friedrich Versäumnisse bei der Ahndung eines früheren Missbrauchs in der evangelischen Kirche ein. Im Bistum Regensburg gibt es nach Angaben eines Sprechers Vorwürfe gegen vier Geistliche und zwei Nonnen.
Unabhängige Beauftragte
Die deutsche Regierung will eine
unabhängige Beauftragte einsetzen, um die Missbrauchsfälle in katholischen
und anderen Einrichtungen aufzuarbeiten. Darauf einigte sich die
schwarz-gelbe Koalition in Berlin nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur dpa vom Montag. Die Beauftragte soll auch Empfehlungen für
materielle und nichtmaterielle Hilfen für Opfer erarbeiten. Wer diese
Aufgabe konkret übernimmt, ist noch offen. Die Beauftragte soll unabhängig
von dem Runden Tisch der Bundesregierung arbeiten, der erstmals am 23. April
zusammenkommt. Das Bundeskabinett will das Gesamtkonzept zur Aufarbeitung
von Missbrauchsfällen am Mittwoch beschließen.
In Deutschland wurden weitere Fälle bekannt: In Wilnsdorf (Nordrhein-Westfalen) zeigte sich ein katholischer Geistlicher wegen einer intimen Beziehung zu einer 17 Jahre alten Messdienerin an. In Paderborn suspendierte Erzbischof Hans-Josef Becker einen homosexuellen Pfarrer, der eine Internetseite für Homosexuelle betreibt. Und ehemalige Schüler des renommierten Windsbacher Knabenchores in Bayern werfen ihren Erziehern Misshandlungen vor. Die Vorfälle an der Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche sollen zwischen der Gründung 1946 und den 70er Jahren stattgefunden haben. Von sexuellen Misshandlungen sei bisher nichts bekannt.
"Beschämt und entsetzt"
Die Evangelische Kirche im
Rheinland teilte mit, dass die möglichen Verfahren Pfarrer und Kirchenbeamte
beträfen. Seit Einführung eines verbindlichen Verfahrens zum Umgang mit
möglicher sexueller Gewalt im Jahr 2003 seien zunächst 18 Fälle angezeigt
und verfolgt worden, die bisher in 13 Fällen zu juristischen und
disziplinarischen Schritten geführt hätten. In 20 weiteren Fällen hätten die
Betroffenen ausdrücklich keine Bestrafungen gewollt.
Durch die aktuelle Medienberichterstattung hätten sich in den vergangenen Tagen nochmals fünf Männer und Frauen aus Nordrhein-Westfalen und drei aus Rheinland-Pfalz gemeldet, deren Erlebnisse aber teils bis zu 50 Jahre zurückliegen, erklärte die Vizepräses der rheinischen Kirche, Petra Bosse-Huber. "Wir sind beschämt und entsetzt. Wir bitten die Opfer um Verzeihung", sagte die Theologin. Es sei bei der Aufklärung "völlig unerheblich", dass viele der Vorfälle bereits vor Jahrzehnten geschehen sei.
Vertuschung wird ebenso nachgegangen
In den Berichten Betroffener
gebe es Hinweise darauf, dass die Kirche "nicht zu allen Zeiten" angemessen
auf Verdachtsmomente reagiert habe, sagte Bosse-Huber. Jedem Verdacht der
Vertuschung soll aber ebenso nachgegangen werden wie den Vorwürfen von
Missbrauch und Misshandlung selbst. Die rheinische Kirche, die mit fast drei
Millionen Protestanten die zweitgrößte deutsche Landeskirche ist, hat 2003
als erste deutsche Landeskirche nach niederländischem Vorbild ein Verfahren
zum Umgang mit entsprechenden Straftaten eingeführt.
In Bayern überschatteten indes die Missbrauchsfälle die Frühjahrssynode der Landeskirche. Zum Auftakt der Kirchenparlamentssitzung am Montag teilten Vertreter mit, dass in den vergangenen Wochen zwei Opfer in Medien ihre Fälle bekanntgemacht hätten. Die Kirchenleitung habe inzwischen den Kontakt mit den betroffenen Frauen gesucht, um die Fälle umfassend aufzuklären.
Unzureichende Ahndung
Es handle sich um zwei junge Frauen, die im
Konfirmandenalter von evangelischen Pfarrern sexuell missbraucht worden
seien - ein Mädchen in den 1960er Jahren, eine zweite Jugendliche Mitte der
1980er Jahre, berichtete die Leiterin der Landeskirchenleitung, Karla
Sichelschmidt. Im Schnitt würden der Kirchenleitung pro Jahr etwa ein
Missbrauchsfall gemeldet - in den letzten elf Jahren seien 15 Fälle
aktenkundig. Die Fälle seien allerdings unterschiedlich schwer gelagert -
sie reichten von "Grenzüberschreiten" wie Berührungen und anzüglichen
Bemerkungen bis zum Geschlechtsverkehr.
Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich bedauerte die unzureichende Ahndung des geständigen Pfarrers: "Wir haben damals die strengen Maßstäbe unserer Kirche nicht vollständig angewendet." Nun sei ein neues Disziplinarverfahren eingeleitet worden.
Viele Vorwürfe
Das Bistum Regensburg berichtete indes von
Vorwürfen gegen sechs Geistliche und Ordensschwestern. Darunter sei ein
Priester, der sich vor rund 40 Jahren als studentische Hilfskraft im
Internat der Regensburger Domspatzen an zwei Jungen vergangen haben soll,
berichtete Bistumssprecher Clemens Neck. Die Kirche hatte in der vergangenen
Woche mitgeteilt, dass der zuletzt im Landkreis Ansbach tätige Pfarrer wegen
der Vorwürfe vom Bistum Eichstätt suspendiert wurde. Die Fälle würden auch
von der Staatsanwaltschaft untersucht, sagte Neck. Darüber hinaus gibt es
Hinweise auf sexuellen Missbrauch in anderen Einrichtungen von Bayerns
flächenmäßig größtem Bistum.
Einige Vorwürfe richten sich gegen verstorbene Priester. Etliche Betroffene haben sich den Angaben zufolge bei den Beauftragten des Bistums gemeldet. Bei den noch lebenden Verdächtigen geht es um Vorfälle bis 1984. Sie leben heute in verschiedenen Diözesen.