Terrormiliz verübte bisher zahlreiche blutige Anschläge in Afghanistan und Pakistan
Nach dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau am Freitag mit mindestens 133 Toten hat die radikale Miliz Islamischer Staat den Anschlag für sich reklamiert und ein Foto veröffentlicht, das die vier mutmaßlichen Täter zeigen soll. Terrorexperten wie etwa Peter Neumann vom King's College in London erachten das Bekennerschreiben des IS "Provinz Khorasan" (ISPK bzw. engl. ISKP) für authentisch, auch wenn dies aus Moskau nicht bestätigt wurde.
Der ISPK ist ein Ableger der Terrormiliz "Islamischer Staat", die Ende 2014 von sunnitischen Extremisten gegründet worden war. Die IS-Terrormiliz hatte die Schwäche des irakischen Staates und den Bürgerkrieg in Syrien ab 2011 genützt, um in Teilen beider Länder eine Schreckensherrschaft zu errichteten. Mit dem Eingreifen der russischen Armee auf der Seite des syrischen Diktators Bashar al-Assad ab dem Jahr 2015 wurde Russland zu einem der Feindbilder der IS-Terroristen. Bis zum militärischen Sieg über den IS 2016 schwappte dessen extremistische Ideologie auch auf andere Weltregionen über.
Regionaler IS-Ableger
So schworen abtrünnige Mitglieder der pakistanischen Taliban-Organisation Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), der afghanischen Taliban und der Islamischen Bewegung in Usbekistan dem damaligen IS-Anführer Abu Baqr al-Baghdadi die Treue und gründeten den regionalen IS-Ableger Provinz Khorasan. Auch sunnitische Extremisten aus dem mehrheitlich schiitischen Iran und Mitglieder der Islamischen Turkestan-Partei, die sich unter anderem aus Uiguren aus dem Nordosten Chinas zusammensetzt, schlossen sich dem ISPK an.
Khorasan ist eine historische Region in Zentralasien, auf dem Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Khorasan bedeutet "Orient" oder "Land der aufgehenden Sonne" und setzt sich aus dem mittelpersischen Wort xwar ("Sonne") und dem parthischen Verb ās ("kommen") zusammen, wortwörtlich bedeutet es "die kommende Sonne".
Anfang 2015 erkannte die Führung des IS schließlich den Ableger der Jhihadistenmiliz offiziell an. Der ISPK konnte in der Folge in Afghanistan vor allem in den nordöstlichen Provinzen Nangarhar und Qunar Fuß fassen. Nach Angaben von UNO-Experten baute die Gruppe auch Schläferzellen in anderen Teilen des Landes, darunter Kabul, sowie in Pakistan auf.
Anschläge in Afghanistan und Pakistan
Seither gingen einige der blutigsten Anschläge der vergangenen Jahre in Afghanistan und Pakistan auf das Konto des IS-Ablegers. Die sunnitischen Extremisten nahmen dabei vor allem schiitische Muslime, die sie als "Ketzer" betrachten, ins Visier. Kämpfer des IS-Ablegers verübten außerdem regelmäßig Massaker an Dorfbewohnern.
Der ISPK will laut dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA die Taliban als unfähig darstellen, die Sicherheit in Afghanistan aufrechterhalten zu können. Außerdem versucht der IS-Ableger die Beziehungen zwischen den Taliban und den Nachbarstaaten zu unterminieren. So verübte der ISPK zahlreiche Anschläge im Iran, Tadschikistan und Usbekistan. Im Unterschied zu den Taliban gelang es der Gruppe aber nicht, größere Gebiete in Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bringen.
Obwohl es sich sowohl beim IS als auch bei den Taliban um sunnitische Extremisten handelt, bestehen zwischen beiden Gruppen Differenzen in religiösen und strategischen Fragen. In Erklärungen des IS wurden die Taliban als "Abtrünnige" bezeichnet. Das ultimative Ziel des ISPK ist die Errichtung eines islamischen Kalifats in Afghanistan, Pakistan, und Teilen Zentralasiens, inklusive dem Iran. Auch das unterscheidet sie von den Taliban, die außerhalb von Afghanistan bisher nicht in Erscheinung getreten sind.
Mittlerweile gilt der "Islamische Staat - Khorasan" als eine der gefährlichsten Terrorgruppen weltweit, auch mit zahlreichen Sympathisanten in Europa. So wurden etwa jene Tadschiken, die in Anschlagspläne gegen den Wiener Stephansdom und den Kölner Dom eingebunden gewesen sein sollen, dem ISPK zugerechnet. Die CIA schätzte die Stärke des ISPK im Jahr 2023 auf 1.000 bis 6.000 Mitglieder ein.