NATO-Soldaten erschossen bei der Groß-Offensive versehentlich drei Menschen.
Die Zahl der zivilen Opfer bei der Großoffensive gegen die radikalen Taliban in Südafghanistan steigt immer weiter an. Die Internationale NATO-Schutztruppe ISAF teilte in der Nacht auf Dienstag mit, Soldaten hätten bei der Operation "Mushtarak" ("Gemeinsam") in der Provinz Helmand versehentlich drei Zivilisten erschossen.
Wenige Stunden zuvor hatte die ISAF gemeldet, in der Nachbarprovinz Kandahar seien fünf Unbeteiligte bei einem Luftangriff gestorben, der aber nicht Teil der Operation war. Bei der größten Offensive gegen die Taliban seit dem Sturz ihres Regimes Ende 2001 waren am Sonntag in Helmand nach ISAF-Angaben zwölf Zivilisten getötet worden, als eine Rakete der Truppen ihr Ziel verfehlte.
Familien erhalten Entschädigungen
Nach den zwölf zivilen
Opfern vom Sonntag hatten Regierung und Militärs angekündigt, Unbeteiligte
besser zu schützen. In der ISAF-Mitteilung in der Nacht auf Dienstag hieß
es, die drei bei verschiedenen Vorfällen getöteten Zivilisten seien von
Soldaten irrtümlich für Angreifer gehalten worden. In zwei Fällen hätten
sich die Männer den Truppen trotz Warnsignalen genähert. Ein weiteres Opfer
sei in einem Haus gewesen, von dem aus sich Aufständische ein Feuergefecht
mit Soldaten lieferten. Der Mann sei angeschossen worden und trotz
medizinischer Versorgung an seinen Verletzungen gestorben. Die Familien der
Opfer würden entschädigt.
Die ISAF teilte mit, in Kandahar sei eine Patrouille mit afghanischen und ausländischen Soldaten fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Verdächtige eine Sprengfalle versteckten. Die ISAF bedauerte den "tragischen Unfall" und bekundete den Familien der Opfer ihr Mitgefühl. Der Vorfall werde untersucht. Die Familien würden auch in diesem Falle entschädigt.
Taliban kämpfen mit Minen
Am vierten Tag ihrer
Großoffensive, mit der die Taliban aus den Bezirken Marjah und Nad Ali
vertrieben werden sollen, kamen die rund 15.000 beteiligten Soldaten
angesichts Hunderter von den Taliban versteckter Minen nur langsam voran. In
Helmand seien in verschiedenen Gegenden Hunderte Sprengsätze entdeckt
worden, sagte der afghanische Generalstabschef Besmillah Khan am Dienstag.
Die Soldaten seien auf mehr versteckte Sprengsätze als erwartet gestoßen,
sagte ein Sprecher der US-Marineinfanteristen.
Auch am Dienstag waren immer wieder die Explosionen von Sprengsätzen und Schüsse zu hören. Die Taliban schienen ihre Gegenangriffe auf die vorrückenden Koalitionstruppen zu verstärken. Die Taliban-Kämpfer schaffen es offenbar, im Schutz der Dunkelheit durch die Linien der alliierten Verbände zu kommen und dann in Gebieten, die eigentlich als gesichert gelten wieder aufzutauchen, wo sie dann das Feuer auf die Soldaten eröffnen.
Offensive dauert womöglich Wochen
Der Bezirk Marjah stand
jahrelang unter der Kontrolle von Taliban und Drogenhändlern. Er ist einer
der größten Opium-Anbaugebiete der Welt. Die Region gilt als vermint und
deshalb als sehr gefährlich. Nach Angaben der afghanischen Armee sind
Sprengsätze an Straßen und auf Feldern versteckt. Sie hängen teilweise aber
auch an Bäumen oder werden in Häuserwände eingemauert. Versteckte Bomben
sind nach Angaben des US-Geheimdienstes für rund 90 Prozent der Todesfälle
bei den ausländischen Truppen in Afghanistan verantwortlich. Die Offensive
könnte vermutlich noch Wochen dauern. Danach soll dort eine Zivilverwaltung
aufgebaut werden.
Taliban-Sprecher Sabiullah Mujahid sagte, die Aufständischen erfolgreich Widerstand gegen die Truppen. Meldungen über die Festnahme des Stellvertreters von Taliban-Chef Mullah Omar, Mullah Abdul Ghani Baradar, in Pakistan sollten nur dazu dienen, "unsere Kämpfer zu demoralisieren". Mullah Baradar sei aber in Afghanistan, leite dort die Operationen der Taliban und sei wohlauf.
Zwei ISAF-Soldaten getötet
Die ISAF teilte am Dienstag mit,
bei der Operation "Mushtarak" komme es weiterhin zu sporadischen
Feuergefechten. So sei es bei der Verfolgung eines Taliban-Kommandanten in
Helmand zu Kämpfen gekommen, bei denen mehr als zehn Aufständische getötet
worden seien. Am Vortag seien in Südafghanistan zwei ihrer Soldaten getötet
worden, die sich aber nicht an "Mushtarak" beteiligt hätten.
Der neue Generalinspekteur der deutschen Streitkräfte, Volker Wieker, erwartet in Afghanistan keine schnellen Erfolge. In einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" warnte er vor einem festen Abzugstermin; die geplante schrittweise Reduzierung der Bundeswehr-Verbände in Afghanistan sei nur bei "Fortschritten beim zivilen Aufbau" möglich.