Politisches Erdbeben
Nach Wahlsieg: Vucic, der Serben-Orban?
17.03.2014
Droht Orban-Phänomen? Beobachter warnen vor großer Machtfülle für Vucic.
Die Parlamentswahlen in Serbien haben zu einem politischen Erdbeben geführt. Unter den Oppositionsparteien, die eine unvergleichliche Niederlage hinnehmen mussten, herrscht Schockstimmung. Politische Beobachter fragen sich nach dem Erdrutschsieg des bisherigen Vizepremiers Aleksandar Vucic, dessen Partei eine absolute Mehrheit im Parlament erreichte, ob Serbien nun das Orban-Phänomen drohe.
Absolute Mehrheit für "Alexander den Großen"
Vucic triumphierte auf der ganzen Linie. "Alexander der Große" titelte das für seine engen Kontakte zur Vucic-Partei bekannte Boulevardblatt "Informer" am Montag. "Triumph von Vucic, Debakel der Opposition" schrieb die regierungsnahe Tageszeitung "Politika". Die SNS, deren Kern eigentlich ehemalige serbische Ultranationalisten darstellen, hat ihre Abgeordnetenzahl gemessen am Wahljahr 2012 nun mehr als verdoppelt und wird künftig laut vorläufigen inoffiziellen Wahlergebnissen 157 von 250 Abgeordneten stellen.
Angesichts der damit zementierten Macht des bisherigen Vizepremiers, der bereits seit langem als "starker Mann" Serbiens gilt, warnen politische Beobachter vor einer ähnlichen Machtfülle wie beim umstrittenen ungarischen Premier Viktor Orban, der seit 2010 mit seiner rechtskonservativen Fidesz-Partei mit Zwei-Drittel-Mehrheit regiert. Für Unbehagen sorgt bei manchen auch die politische Vergangenheit von Vucic und der SNS. Die Partei wurde 2008 gebildet, als sich der derzeitige Präsident Tomislav Nikolic und Vucic von ihrem langjährigen Ziehvater, dem wegen Kriegsverbrechen angeklagten Vojislav Seselj, trennten. Ihnen folgten daraufhin auch etliche frühere Anhänger der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS).
Vernichtende Niederlage für Oppositionsparteien
Erfolgreich war bei der Wahl am Sonntag auch der bisherige kleinere Regierungspartner, die Sozialistische Partei (SPS) von Premier Ivica Dacic, die als zweitplatzierte Parlamentskraft künftig über 45 Sitze verfügen dürfte. Die Oppositionsparteien erlebten dagegen eine vernichtende Niederlage. Nur die Demokratische Partei (DS) von Dragan Djilas und die kürzlich gebildete Neue Demokratische Partei von Boris Tadic sowie drei Minderheitenparteien, für die die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, schafften überhaupt den Einzug ins Parlament.
Das bürgerliche Serbien sei am Sonntag besiegt worden, erklärte die frühere Oppositionspolitikerin Vesna Pesic gegenüber der Tageszeitung "Danas" (Montag-Ausgabe). Sie habe das Gefühl, als ob Slobodan Milosevic auferstanden wäre, meinte sie. "Wir, die auf die Demokratie, die Menschenrechte und die bürgerlichen Werte ausgerichtet waren, waren damals (in den 1990er Jahren, Anm.) von der politischen Szene gefegt worden", beschrieb Pesic ihren Eindruck angesichts des übermächtigen Sieges der SNS und der guten Wahlergebnisse der Sozialisten. Gerade die Letzten hatten unter Milosevic die Landespolitik, immer wieder auch dank der Unterstützung der Ultranationalisten entscheidend mitgeprägt.
Experten kritisch: "Gefühl, Serben wollen Demokratie suspendieren"
Er habe das Gefühl, dass sich die Serben entschlossen hätten, die Demokratie für einige Zeit zu suspendieren, meinte Djordje Pavicevic von der Belgrader Fakultät für politische Wissenschaften. Es würde stimmen, dass die SNS nun die volle Verantwortung habe, allerdings auch die volle Kontrolle. Auch hätten die bisherigen Machthaber bereits gezeigt, dass sie zum Einsatz unterschiedlicher Kontrollmechanismen bereit wären, warnte er gegenüber dem TV-Sender "B-92" . Auch für den Soziologen Jovo Bakic ist die von der SNS bisher wiederholt geübte Medienkontrolle "ziemlich besorgniserregend".
Die Bürger hätten offenbar den Wahlversprechen der regierenden Parteien Vertrauen geschenkt, ohne sich zu fragen, was bisher auch umgesetzt worden sei, zeigte sich der DS-Chef Djilas enttäuscht. Vojislav Kostunica, Chef der nationalkonservativen Demokratischen Partei Serbiens, sprach wie Pesic von einer Rückkehr in die 1990er Jahre. Nach gut 20 Jahren wird seine Partei zum ersten Mal nicht mehr im Parlament vertreten sein. Aus dem Parlament flogen auch die Liberaldemokratische Partei von Cedomir Jovanovic und die URS (Vereinigte Regionen Serbiens) von Mladjan Dinkic. Der langjährige Finanz- und Wirtschaftsminister überlegt nun nach eigenen Worten einen Rückzug aus der Politik.