Hilfsorganisationen werfen Italien Ineffizienz bei den Rettungseinsätzen vor
Nach einem neuen Flüchtlingsunglück vor der libyschen Küste mit mindestens 30 vermissten Menschen gerät die italienische Regierung unter Druck. Hilfsorganisationen werfen dem Kabinett um die Rechtspolitikerin Giorgia Meloni Ineffizienz bei den Rettungseinsätzen vor. Kritik kam auch aus dem Ausland.
"Diese neue Flüchtlingstragödie wäre vermeidbar gewesen. Sie bezeugt einen wahren Mangel an Menschlichkeit und Mitgefühl in der Regierung Meloni", schrieb die sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Iratxe García Pérez, auf Twitter. Sie warf Italien "Versäumnisse" bei den Such- und Rettungsmaßnahmen vor. "Dieses Vorgehen wird viele weitere Menschenleben kosten und wird die Flüchtlinge nicht davon abhalten, in die EU zu kommen", fügte sie hinzu.
Auch die Opposition in Rom kritisiert die Regierung Meloni. "Ein weiteres Schiffsunglück, eine weitere Tragödie im Mittelmeer: Die Regierung sollte so schnell wie möglich klären, was in diesem letzten traurigen Fall geschehen ist. Sie muss sich für die Rettung von Menschenleben auf See und nicht für die Verabschiedung schädlicher Gesetze wie jenes einsetzen, das der Arbeit der NGOs Schranken setzt", erklärte Roberto Fico, ehemaliger Präsident der Abgeordnetenkammer und Mitglied der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung.
Die Rechtspartei "Fratelli d ́Italia" (FdI - Brüder Italiens) um Premierministerin Meloni betrachtet die starke Flüchtlingswelle in Richtung Italien als "Erpressung" der Regierung, die am Donnerstag strengere Strafen gegen Schlepper beschlossen hat. "Seitdem die Regierung harte Strafen gegen Menschenhändler angekündigt hat, haben sich Reisen nach Italien verdreifacht. Das ist eine Erpressung. Kein Wort wird für die Schlepper verschwendet, die für Geld Hunderte von Menschenleben gefährden und Tausende von Euro für eine Fahrt auf Schlauchbooten verlangen", erklärten die Fraktionschefs der Fratelli d'Italia in der Abgeordnetenkammer und im Senat, Tommaso Foti und Lucio Malan.
Italien lässt keinen gefährdeten Migranten auf dem Meer zurück, versicherte der italienische Außenminister Antonio Tajani am Sonntagabend. "Wir dürfen niemals das, was passiert, politisch instrumentalisieren", sagte Tajani vor Journalisten im Vorfeld einer Konferenz des Luft-und Raumfahrtkonzerns Leonardo in Tel Aviv, wo er sich zu einem Besuch aufhält. "Da ich die Küstenwache, die italienische Marine und die Polizei kenne, bin ich überzeugt, dass sie niemanden ohne Rettung zurücklassen", sagte Tajani.
Vor zwei Wochen waren bei einer Flüchtlingstragödie vor der Küste der süditalienischen Region Kalabrien mindestens 79 Menschen ums Leben gekommen. Kritiker werfen der italienischen Regierung vor, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben, um die Menschen an Bord des verunglückten Bootes zu retten.
Inzwischen warnen Italiens Geheimdienste vor einer Massenauswanderung aus Libyen. Hunderttausende Menschen seien in Libyen zur Abfahrt in Richtung Europa bereit. In Berichten an die italienische Regierung wiesen die Sicherheitsdienste darauf hin, dass in Libyen 685.000 Migranten bereit seien, an Bord von Booten die italienische Küste zu erreichen, schrieb die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" am Sonntag. Das sei das Siebenfache der Zahl aller Ankünfte im Jahr 2022. "Die dramatische Migrationswelle dieser Tage könnte nur ein Bruchteil von dem sein, was in den nächsten Tagen passieren könnte", schrieb "Corriere della Sera".