Auch nach zwei Monaten ist unklar, woher der Darmkeim kommt.
Vor zwei Monaten begann in Deutschland einer der weltweit größten EHEC-Ausbrüche. Der Verzehr vermeintlich gesunder Sprossen führte zu Tausenden Erkrankungen und kostete fast 50 Menschen das Leben. Der gefährliche Erregertyp O104:H4 des Darmbakteriums wurde auch bei Patienten in Frankreich entdeckt. Europäische Gesundheitsbehörden vermuten aufgrund von Lieferketten nun Bockshornkleesamen aus Ägypten als mögliche Quelle der Erreger. Allerdings gebe es noch viel Unsicherheit, ob das wirklich die gemeinsame Ursache der aggressiven EHEC-Keime sei, betonen die Experten.
3.929 EHEC-Infektionen
Das Robert Koch-Institut in Berlin datiert den ersten Krankheitsbeginn in Deutschland rückwirkend auf den 1. Mai. Insgesamt registrierte es bis Ende Juni 3.929 EHEC-Infektionen. 838 dieser Patienten mussten wegen der schweren Komplikation HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) behandelt werden. 47 Menschen starben. Seit Ende Mai ebbt die Krankheitswelle ab. "Inzwischen sehen wir in Deutschland nur noch sehr wenige Fälle und erkennen eine deutliche Beruhigung", sagt der Leiter der Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut, Gerard Krause.
Nach wochenlangem Rätseln hatten Experten die Krankheitsquelle enger eingegrenzt. Nicht mehr Gurken, Salat und Tomaten, sondern rohe Sprossen gelten als Träger des aggressiven Erregerstamms. "Der Verzehr von Sprossen ist verbunden mit der Erkrankung. Das deckt sich in verschiedenen Studien", sagt Krause. Doch fraglich ist, wo die Samen oder Sprossen verunreinigt wurden.
Ägyptische Samenlieferung im Verdacht
Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA in Parma hat gemeinsam mit der EU-Seuchenbehörde ECDC in Stockholm nun einen neuen Verdacht: Demnach scheint es eine Verbindung zwischen einer ägyptischen Samenlieferung von 2009 und dem EHEC-Ausbruch in Frankreich zu geben. Zudem könnte ein Export von Bockshornkleesamen aus Ägypten nach Deutschland im Jahr 2010 hier eine Rolle beim Ausbruch gespielt haben. Ägyptische Bockshornkleesamen seien somit in die EHEC-Ausbrüche in beiden Ländern verwickelt, halten die europäischen Behörden fest. Auch schwedische Behörden fahnden in ihrem Land nach dem Erreger, weil es in einem EHEC-Fall keinerlei Verbindung nach Deutschland gibt.
Nur einmal sei der Erreger wirklich auf Sprossen nachgewiesen worden, sagte Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung. Diese hatte ein Familienvater aus Königswinter bei Bonn aus dem Müll geholt, nachdem seine Frau und seine Tochter schwer erkrankt waren. Aus Sicht des Epidemiologen Krause besteht kein Widerspruch zwischen den tausenden Erkrankungen und der Tatsache, dass der Erreger nur einmal auf Sprossen gefunden wurde. Solche Erreger sind vor allem nachträglich schwer nachzuweisen.
Ungewöhnliche Epidemie
Die EHEC-Epidemie in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Normalerweise gelten Wiederkäuer als EHEC-Infektionsquelle, und meistens erkranken Kinder. Selten endeten Erkrankungen bisher tödlich. Im gesamte Jahr 2010 wurden dem RKI nur zwei EHEC-Todesfälle gemeldet. Vom aktuellen Ausbruch seien sowohl Babys als auch 99-Jährige betroffen, berichtet Krause. Die EHEC-Erkrankten seien im Mittel 47 Jahre alt, die HUS-Erkrankten 43 Jahre. Ungewöhnlich sei ebenfalls, dass 68 Prozent der HUS-Patienten und 59 Prozent der EHEC-Infizierten Frauen seien. Auch die Inkubationszeit liege mit durchschnittlich acht Tagen deutlich höher als die sonst üblichen drei bis vier Tage.
Für den Rückgang an Neuerkrankungen haben die Wissenschafter mindestens zwei mögliche Erklärungen. Es sei denkbar, dass die Menschen einfach weniger verunreinigte Lebensmittel essen. Es könne aber auch sein, dass der Erregerherd in Deutschland ausgelöscht sei, sagt Thier-Kundke. Ob die Gefahr eines weiteren Ausbruchs gebannt ist, sei jedoch ungewiss. Vor dem Verzehr von Sprossen warnen die Experten weiterhin.
"Wir müssen ganz, ganz wachsam sein", fordert Krause. "Die Ärzte und Labore müssen weiterhin gut diagnostizieren und die Ergebnisse schnell an die Gesundheitsämter melden", betont er. Die Ämter wiederum müssten weiterhin schnell und genau erfassen, was die möglichen Ursachen und die Infektionsquellen gewesen sind. "Auch die Patienten müssen mitarbeiten und für die Gesundheitsämter erreichbar sein und versuchen, sich möglichst genau zu erinnern." Nur so könne bei neuen Fällen schnell festgestellt werden, ob es eine neue Infektionsquelle gibt.