ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtet aus Libyen.
Karl Wendl aus Misrata. Es ist dies die harte und gruseligste Beweisstück meiner journalistischen Karriere: Ich stand neben dem toten Muammar Gaddafi. In einem schäbigem Kühlhaus am Fleisch- und Gemüsemarkt in der Stadt Misrata 200 km östlich von Libyens Hauptstadt Tripolis.
Badgdad, Misrata: Sie stellen den toten Gaddafi aus. Wie eine Sensation. Wie ein Trophäe. Und sie schreien dabei, beklemmend. Ein schreckliches, einzigartiges Schauspiel. Ähnlich gruselige Bilder gab es weder von Mao, Stalin, oder vom rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu. Der afrikanische Gemüse- und Fleischmarkt liegt etwas außerhalb von Misrata. Normalerweise wird hier Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch gelagert und gehandelt. Jetzt liegen hier die Leichen von Muammar, 69 und dessen Sohn Mutassim Gaddafi (35).
Es ist Samstag, 11 Uhr. Brütend heiß. Vor der Einfahrt zum Markt eine Menschenschlange, hunderte Männer, Barden, alle wollen sie Gaddafi sehen, dass Monster bestaunen: „Er hat meine beiden Söhne ermordet!“, schreit ein älterer Mann. „Ich möchte sehen, wie der Mörder meiner Kinder aussieht.“ Das schwere Eisentor geht auf, ich werde durchgeschoben. Es geht vorbei an zwei Hallen, mehrere Dutzend Rebellen mit Maschinengewehren und Kalaschnikows, ein Betongebäude. Sie wirken aufgebracht, fuchteln wild mit ihren Kalaschnikows, es riecht süßlich, überall Fliegen.
Die Männer wollen mich zuerst nicht durchlassen, doch ich gehe einfach weiter, komme zu einer schmalen Betonrampe, die zu einer offen Eisentür führt. Die Rebellen schieben mich durch, ich stehe in einem kahlen, schmutzigen, kalten Raum. Zuerst realisiere ich es gar nicht, aber auf einer schmutzigen Matratze, am blanken Betonboden des Kühlraumes liegt Oberst Muammar Gaddafi. Direkt vor mir. Direkt zu meinen Füßen. Er ist mit einer speckigen, bräunlichen Decke zugedeckt. Sein nackter Oberkörper ist zu sehen. Der früher mächtigste Mann Nordafrikas, der exzentrischste Politiker der Welt, der Herr des Terrors, jetzt liegt er tot am Boden eines Kühlhauses. Jahrelang wollte ich ein Interview von diesem Mann, unmöglich, nun liegt er da. Sein markantes Gesicht ist gelblich, das krause, schüttere Haar dunkel. Auf der Stirn ein schwarzer Fleck. Ein Einschussloch.
Gaddafi wurde durch einen angesetzten Kopfschuss getötet, das ist genau zu sehen. Neben ihm auf einer weiteren, zweiten Matratze sein Sohn, Mutassim, 35, der frühere Playboy und sein späterer Sicherheitschef. Mutassin hatte einen Vollbart, seine Augen sind weit aufgerissen, das Gesicht verzerrt. Sein Körper wurde von dutzenden Kugeln getroffen, er war bis zuletzt bei seinem Vater:„ Gaddafi hat „nicht schießen, nicht schießen,“ geschrien, sagt einer der Rebellen in dem Kühlraum „Mutassin feuerte aber auf uns, da schossen wir zurück“.
Die Rebellen, die Gaddafi ermordet und exekutiert haben, stehen jetzt in dem Kühlraum. Einige Augenblicke kann ich in dem Raum bleiben. Ich weiß nicht, ob ich hier Zeitgeschichte erlebe, oder bloß Teil einer der widerwärtigsten Todesshows der Politgeschichte bin. Schließlich schieben die Rebellen mich hinaus. Vor dem Kühlraum eine endlose Menschenschlange.
Alle wollen den toten Diktator sehen, jeder will auf seine Art stille Rache an dem Mann nehmen, der Libyen 40 Jahre im Bürgerkrieg gehalten hat. Manche bringen sogar ihre Kinder mit. Die Kleinen sind kaum älter als drei, vier, fünf Jahre alt. Alle schreien „allāhu akbar“ – Gott ist groß. Gott schießt mit den Standhaften. Zumindest die Kinder lassen sie nicht in den schrecklichen Kühlraum. Omar, ein 26jähriger Ingenieur sagt zu mir: „Gaddafi hat seine Gerechtigkeit gefunden.. Ob er es nicht schrecklich findet, dass Gaddafi so augestellt wird wie ein totes Tier?, frage ich. Nein schreit er mich an, „ die ganze Welt soll wissen dass der Tyrann tot ist!“ Ich drehe mich weg, verlasse diesen schrecklichen Ort, ein Mann ruft mir nach: „ Der Islam wird ihn finden um ihm einer gerechte Strafe zuführen!“