ÖSTERREICH-Reporter

"Bin Laden hat den Tod verdient"

02.05.2011

Herbert Bauernebel schildert die dramatische Jagd auf Bin Laden.

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Washington. Neun Jahre und 232 Tage dauerte die Jagd auf Osama bin Laden. Am Ende reichte eine 40 Minuten lange Kommando-Aktion besttrainierter US-Elite-Soldaten für seinen Tod. Die Hollywood-reife Operation – Codename „Geronimo“ – war ein Thriller:

Pakistan: Startschuss
Es ist bereits nach Mitternacht am Montag im pakistanischen Kurort Abbottabad nahe der Hauptstadt Islamabad (Sonntag, nach 21 Uhr MEZ), eine mondlose Nacht. „Black Hawk“-Helikopter, Typ MH-60, donnern im Tiefflug zum Versteck von Osama. Die Helikopter unterfliegen das pakistanische Radar. Islamabad, dem misstraut wird, ist nicht eingeweiht.

Washington: Krisengipfel
US-Präsident Barack Obama hat auf der Andrews Air Force Base nur neun der 18 Löcher Golf gespielt. Niemand schöpft Verdacht, als er ins Weiße Haus eilt. Im „Situation Room“ unter dem Oval Office trifft Obama auf sein Sicherheitsteam. Sie verfolgen die „Operation Geronimo“ über satellitenverlinkte Kameras auf Soldatenhelmen live. Neonlicht, die Klimaanlage surrt, Obama starrt angespannt auf den Flachbildschirm. Auch Außenministerin Hillary Clinton ist da.

Osama war unbewaffnet

Die erste Krise: Die Rotorblätter eines Helikopters klemmen, durch „mechanisches Gebrechen oder feindliches Feuer“, so US-Offizielle. Bin Ladens Bewacher hatten vom Dach aus mit Gewehren und Panzerabwehrrohren das Feuer eröffnet. Der „Black Hawk“ setzt hart auf, die Truppe des „Seal Team Six“ bleibt unverletzt. Hillary Clinton hält sich die Hand vors Gesicht.

24 Soldaten kämpfen sich zum Hauptgebäude vor, treffen im 2. Stock auf US-Staatsfeind Nr. 1. Schlaksige Statur und Bart sind eindeutig, Osama trägt afghanische Tracht, eine Pluderhose. „Geronimo“, ruft ein Soldat. Eine seiner vier Ehefrauen stürmt auf einen der Soldaten zu. Sie wird durch einen gezielten Schuss ins Bein verletzt. Bin Laden ist nicht bewaffnet, weigert sich aber, sich zu ergeben. In einem „unberechenbaren Schusswechsel“ kommt er ums Leben. Eine Kugel trifft Bin Laden oberhalb des linken Auges, sein Kopf sei regelrecht „explodiert“, erklärt Obama-Sprecher Jay Carney am Dienstagabend. Trotzdem bekommt Osama noch einen Fangschuss in die Brust.

Weißes Haus: Feind tot
Im Weißen Haus tönt über Funk die Botschaft eines Soldaten: „Für Gott und Vaterland! Geronimo! Geronimo! Geronimo!“ Dann präziser: „Geronimo E-KIA“, „Feind im Gefecht getötet“. Bin Laden ist tot. Neben ihm sterben sein Sohn Khalid und zwei Brüder.
Die CIA schließt mit Gesichtserkennungssoftware der gefunkten Leichenfotos Zweifel an Bin Ladens Identität aus. „Wir haben ihn“, sagt Obama schließlich. Im Raum bricht Applaus aus. Der 40-minütige Einsatz ist beendet.
Navy Seals nehmen Osamas Leiche mit auf den Flugzeugträger USS Carl Vinson. Dort wird er gewaschen und im Meer bestattet.

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Momente des Horrors. Es war dieser Moment der Todesangst, der Verzweiflung, der Wut – seit fast zehn Jahren spukt er durch meinen Kopf: Ich lag unter einem Lieferwagen an der Ecke Broadway/Fulton Street, die rasende Staubwolke des gerade kollabierten WTC-Südturms hatte den Tag binnen Sekundenbruchteilen zur Nacht gemacht. Ich atmete den zerpulverten Wolkenkratzer ein, dachte zu ersticken. Panische Gedanken hämmerten, vor allem: Nie werde ich mein erstes Kind sehen, mit dem meine Frau schwanger war.

„Kill Bin Laden“
Dem Trauma folgte rasch die unbändige Wut gegen den feigen Mörder Osama Bin Laden, dessen Terroristen 3.000 Unschuldige in ihrem Wahn in den Tod rissen: Angestellte, Broker, Fensterputzer, Köche, Feuerwehrleute, die alle nichts falsch machten, als an diesem strahlenden Spätsommertag zur Arbeit zu fahren.

Wie gestern erinnere ich mich an die lähmende Trauer, die sich bleiern über das schwer getroffene New York legte: die Wände voller „Vermissten-Poster“ an jedem Subway-Aufgang, die Fotos der Opfer, die verzweifelten, draufgekritzelten Hilferufe ihrer Angehörigen. „Kill bin Laden“, sah ich auch am Abend des Horrortages in den weißen Staub einer Scheibe geschrieben. Ich nickte damals. Wir alle wollten Vergeltung!

Tränen der Freude
Dass es so lange dauern sollte, schien schwer vorstellbar. Doch jetzt starrte ich ins TV, Tränen der Emotion, teils auch durch Flashbacks vom damaligen Horror, kullerten über die Wangen. Obama sprach über die Tötung des „Verantwortlichen am Tod Tausender Männer, Frauen und Kinder“, von „Gerechtigkeit“. „YES!“, brülle ich. Skrupel, mich über den Tod eines Menschen zu freuen, habe ich keine. Bin Laden hat den Tod verdient.

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Die Feiern in den USA, vor allem an "Ground Zero" in New York, das vor fast zehn Jahren an dem strahlenden Spätsommertag plötzlich im Albtraum zweier Jumbo-Treffer und den kollabierenden, 417 Meter hohen WTC-Türmen versank. Hier wird sogar von einem  „D-Day“ gesprochen, die Tötung Bin Ladens mit dem Sieg über Nazi-Deutschland verglichen. An Zäunen wurden spontan Flaggen und Blumen angebracht.

„Gott preise unser Militär“, ruft der fahnenschwingende Verkäufer James Vigliature (51) beim Lokalaugenschein an der Riesenbaustelle, wo der bereits 60 Stockwerke hohe, neue WTC-Turm empor ragt: „Dieses Monster hat endlich bekommen, was er verdient“. Seit Sonntag Nacht wird hier gefeiert, als hätte die USA die Fußball-WM gewonnen. „Menschen kletterten mit Fahnen die Straßenlaternen hoch“, erzählt der Soldat Brian Perez (19). Mit Freuden wäre er sofort zum Ort des damaligen Schreckens gelaufen: „Nach alle den Opfern ist unsere Kampfmoral jetzt wieder enorm hoch“.

In wenig mehr als vier Monaten jährt sich hier der zehnte Jahrestag des Al-Kaida-Terror-Horrors, die eine Milliarde Dollar teure Gedenkstätte liegt in den letzten Zügen der Fertigstellung. „Es ist ein großartiger Tag für Amerika, für die ganze Welt“, jubelt der Arbeiter John Metz (51): „Wir haben es diesen feigen Mördern gezeigt“. Am frühen Nachmittag New Yorker Zeit kreisten bereits drei News-Helikopter über dem Areal.

Doch vor der Station der lokalen „PATH“-Nahverkehrszüge steht bereits ein Trupp mit MPs bewaffneter Elitepolizisten. Auch die Angst vor Vergeltung ist bereits spürbar.

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Die USA im Freudentaumel
Der Jubel  in den USA kennt nach der völlig überraschenden Meldung der Ausschaltung des Superterroristen Osama Bin Laden keine Grenzen. Kurz vor Mitternacht US-Ostküstenzeit (vor 6 Uhr MEZ) trat ein entschlossen, doch erleichtert wirkender US-Präsident Barack Obama an die Nation – von der sich nach einem ruhigen Sonntag die meisten schon zu Bett begeben hatten.

Obama vermeldete den Tod des für den Jumbo-Massenmord des 11. September 2001 (3.000 Tote) verantwortlichen Al-Kaida-Chef. Die Kommandoaktion der "Navy Seals" sei ein "Ausdruck der Größe Amerikas", sagte Obama: "Gerechtigkeit wurde hergestellt".

Binnen Minuten zogen Hunderte vor das White House, schwangen Fahnen, jubelten frenetisch. Bei einem Baseball-Spiel in Philadelphia skandierten die Massen plötzlich: „U-S-A! U-S-A!“. Soziale Medien via Facebook glühten mit Botschaften über den Tod des Terrormonsters.

Feier am Ground Zero
Am bewegendsten jedoch die Szenen auf „Grund Zero“ in Lower Manhatten, dem 6,4 Hektar großen Tatort des Twin-Tower-Einsturzes (allein hier gab es 2.700 Opfer): Menschen fielen sich in die Arme, einigen kletterten mit US-Flaggen Straßenlampen empor. Bald knatterten News-Helikopter über dem Jubel-Ort. Einige eingetroffene Angehörige der damaligen Opfer, zeigten ihre Genugtuung in TV-Interviews: „Es bringt sie nicht mehr zurück, doch endlich wurde dieser Massenmörder zur Verantwortung gezogen“.

Noch deutlicher die Zeitungen: „Verrotte in der Hölle“, wünschte dem toten Bin Laden die „Daily News“. „Got Him“, tönte die „New York Post“. Untertitel: „Endlich Rache – US nagelt den Bastard nieder!“    

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