ÖSTERREICH-Reporter Florian Lems berichtet aus Pakistan.
„Tsunami im Zeitlupentempo“ – so bezeichnete UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon das, was jetzt gerade in Pakistan passiert. Eine gigantische Flutwelle rollt immer noch über das Land, langsam, aber unaufhaltsam. Sie setzt ganze Landstriche im flachen, bevölkerungsreichen Süden des Landes unter Wasser. Bald fließt das Wasser ab, ins Meer, doch Erleichterung ist keine in Sicht. Nach weiteren Regenfällen in Punjab folgte eine zweite Welle, mit einem Abstand von vier bis fünf Tagen. Sie schwemmt in der Provinz Sindh vielerorts weg, was den Wassermassen bisher standgehalten hat.
Menschen doppelt betroffen
„Tsunami im Zeitlupentempo“ – im
gebirgigen Norden des Landes, in den Grenzregionen zu Afghanistan, trifft
diese Bezeichnung keineswegs zu. Im Gegenteil, hier geschah alles sehr
rasch: Eine riesige Springflut, eine Wasserwand von stellenweise 15 Metern
Höhe schoss durch die engen Tälern hinab, riss alles mit sich. Schwere
Betonbrücken wurden einfach weggeschwemmt, es wird Jahre dauern, die
Infrastruktur wieder herzustellen.
Die Menschen in dieser Region, vor allem im Swat-Tal, sind doppelt betroffen. Im Helfer-Jargon spricht man hier von einer „Crisis in the crisis“ – einer Krise in der Krise also.
Monsun riss alles fort
Denn erst vor gut einem Jahr, im Mai 2009,
wurden Hunderttausende Bewohner der Nordwestprovinz zu Kriegsflüchtlingen,
als das pakistanische Militär in einer großen Offensive die Taliban
bekämpfte. Und (zumindest vorläufig) siegte – jedoch zu einem hohen Preis.
Bei den Kämpfen wurden unzählige Häuser zerstört, die Felder lagen brach,
die Ernte fiel aus. Dennoch: Wiederaufbauhelfer waren im Juli vorsichtig
optimistisch. Zwar gab es nach wie vor ein Nachtreise-Verbot im Swat-Tal, es
bestand weiter die Gefahr von Übergriffen durch Taliban-Kämpfer. Doch der
Aufbau ging gut voran, Flüchtlinge kehrten zurück,
Wiederaufbau-Organisationen gingen bereits von Phase 1 (Häuser bauen) zu
Phase 2 über, den Wiederaufbau der Landwirtschaft. „Wir warteten alle auf
den Monsun, damit das Saatgut endlich gedeihen kann“, berichtet Shoaib
Haider, lokaler Projektleiter der österreichischen Initiative „Hope 87“.
Dann kam der Monsun, und er riss alles mit sich fort. Die Häuser – Ruinen. Die Felder – Schlammwüsten. „Alles was wir aufgebaut haben ist jetzt wieder weg“, sagt ein Entwicklungshelfer. Zum zweiten Mal binnen eineinhalb Jahren sind die Bewohner zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden, leben in Zelten, trauern um die zahlreichen Toten, die es gerade in dieser Region gab. Die Aussichten sind düster, denn bald kommt der Winter. Ab Oktober ist es in den Bergen kalt. Die Krise in der Krise droht sich noch zu verschärfen.