Ungarns Ministerpräsident könnte an seiner eigenen Regelung zerbrechen.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban will seine umstrittene Abschottungspolitik in der Flüchtlingskrise mit einer Volksabstimmung einzementieren. Es ist ein Referendum, das er kaum verlieren kann. Schließlich lautet die Frage, ob Ungarn einer "Zwangsansiedlung von Migranten" zustimmen soll. Doch könnte das Votum zum Bumerang werden, wenn es an einer zu niedrigen Beteiligung scheitert.
Selbst angehoben
Orban selbst hatte nämlich im Jahr 2012 das Beteiligungsquorum bei Volksabstimmungen an 50 Prozent anheben lassen, um das Störpotenzial oppositioneller Referenden zu minimieren. Bei den fünf Volksabstimmungen seit dem Ende des Kommunismus wurde diese Marke nur einmal knapp überschritten: Am Referendum über die Abschaffung der Studien-, Ambulanz- und Praxisgebühren im Jahr 2008 beteiligten sich 50,5 Prozent der Stimmbürger. Das EU-Beitrittsreferendum im Jahr 2003 hatte dagegen nur eine Beteiligung von 45,6 Prozent.
Boykott der Linken
Die linksgerichteten Orban-Gegner werden höchstwahrscheinlich zu einem Boykott des Referendums aufrufen, um es am Beteiligungsquorum scheitern zu lassen. Der Ministerpräsident muss rund vier Millionen Wähler zu den Urnen bringen, damit das Quorum erfüllt wird. Orbans nationalkonservative Fidesz hat Umfragen zufolge nur halb so viele Sympathisanten. Selbst wenn man noch die eine Million Anhänger der rechtsradikalen Jobbik-Partei dazurechnet, kommt man nur auf etwa drei Millionen Wähler.
Er müsse Massen mobilisieren
Orban müsste somit zusätzlich zu den Fidesz- und Jobbik-Wählern noch etwa 500.000 bis 700.000 Wählern mobilisieren, erläutert der Politologe Zoltan Kiszely gegenüber der APA. Dies könne gelingen, wenn die Flüchtlingskrise weiterhin die Schlagzeilen beherrsche und "Bedrohung" von Millionen ungewollten Einwanderern und potenziellen Terroristen aktuell bleibe.
Rechtlich durchführbar?
Doch über dem Referendum gibt es auch große rechtliche Fragezeichen. Zunächst muss geklärt werden, ob die EU-Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen ein völkerrechtlicher Vertrag ist, über den in Ungarn keine Volksabstimmung zulässig ist. Die rechtsradikale Jobbik-Partei hat bereits am Dienstag einen Verfassungsänderungsantrag eingebracht, um diese Ausnahmebestimmung auszuhebeln. Die Letztentscheidung in dieser Frage trifft das Verfassungsgericht.
Kiszely verweist in diesem Zusammenhang auch auf den EU-Vertrag von Lissabon, der besage, dass die Vertragsparteien Mehrheitsentscheidungen des Rates der Europäischen Union akzeptieren müssen. Somit läuft Orbans Referendum auch inhaltlich ins Leere. Auch nach einem negativen Votum der ungarischen Bürger wäre die Regierung in Budapest an die EU-Quoten gebunden. Allerdings ist in dieser Frage noch ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Dieser soll entscheiden, ob der Rat beim Beschluss der Quoten seine Befugnisse überschritten habe.
Fidesz-Vizechef Gergely Gulyas sagte unterdessen, dass das Referendum auch ohne Verfassungsänderung stattfinden könne. EU-Recht sei kein Völkerrecht, meinte er im Klubradio. Budapest drohe in dieser Angelegenheit höchstens ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU. Stattfinden könnte das Referendum im Herbst oder Anfang kommenden Jahres. Noch im Herbst 2015 hatte der Fidesz-Klubchef im Parlament, Lajos Kosa, dem Internetportal "mandiner.hu" gesagt, über Flüchtlingsquoten könne kein Referendum entscheiden.