Franziskus rüttelt die Kirche mit seinen Reformideen auf.
Im ersten längeren Interview seit seiner Wahl im März hat Papst Franziskus die Kirche mit Reformideen aufgerüttelt: Er forderte Achtung und "Barmherzigkeit" für Schwule und Geschiedene und sprach sich für eine starke Rolle der Frau aus. "Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche.
Franziskus gab das Interview der Jesuitenzeitschrift "Civilta Cattolica". Es wurde am Donnerstag zeitgleich auch von rund 15 weiteren christlichen Publikationen veröffentlicht. In dem Gespräch geht der Papst mit der Kirche ins Gericht: "Was die Kirche heute braucht, ist die Fähigkeit, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen", sagte er. Die Verkündigung der Liebe Gottes müsse "der moralischen und religiösen Verpflichtung vorausgehen. Heute scheint oft die umgekehrte Ordnung vorzuherrschen".
Mehr Respekt für Schwule
Franziskus spricht sich ganz konkret für mehr Respekt für Schwule aus, auch wenn er betonte, dass sich die offizielle Haltung der Kirche nicht geändert habe. Er habe viele Briefe von Homosexuellen erhalten. Dies seien "soziale Wunden", denn sie fühlten sich immer von der Kirche verurteilt. "Aber das will die Kirche nicht." Gott habe die Menschen in der Schöpfung freigemacht. "Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben." Die Kirche müsse immer die Menschen anschauen. "Wir müssen sie mit Barmherzigkeit begleiten."
"Beichtstuhl ist kein Folterinstrument"
Auf für Geschiedene und für Frauen, die abgetrieben haben, verlangt der Papst mehr Mitgefühl seiner Kirche. So sprach er von dem Fall, wenn sich eine geschiedene Frau nach einer Abtreibung reuevoll an einen Beichtvater wende. Der müsse unterscheiden können, "was das Richtige für einen Menschen ist, der Gott und seine Gnade sucht. Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument". Er sagte: "Man muss die Wunden heilen, dann können wir über alles andere sprechen."
Papst fordert stärkere Rolle für Frauen
In dem Interview, das in mehreren Sitzungen im August geführt wurde, spricht sich der Papst auch für eine starke Rolle der Frau in der Kirche aus - ein weiteres kontroverses Thema, weil Frauen das Priesteramt verwehrt bleibt. "Die Räume für eine entscheidende weibliche Präsenz in der Kirche müssen weiter werden", sagte Franziskus. Allerdings fürchte er sich vor einer "Männlichkeit im Rock", Frauen hätten "eine andere Struktur" als Männer. Die Kirche stehe vor der Herausforderung, über den spezifischen Platz der Frau nachzudenken, und zwar "gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird".
Mit dem Interview bekräftigt Franziskus seinen Reformwillen. Auch wenn er die Dogmen der Kirche nicht in Frage stellt, rückt er die Barmherzigkeit in den Vordergrund: "Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen schwer Verwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen."
Auch seine bescheidene und demütige Haltung betonte der Argentinier in dem Gespräch. Auf die Frage, wer Jorge Mario Bergoglio sei, antwortete er: "Ich bin ein Sünder. Das ist die richtige Definition. Und es ist keine Redensart."
Kurienreform
Die für die Woche nach dem 6. Oktober anberaumten Beratungen der achtköpfigen internationalen Kardinalsgruppe zur Kurienreform sollen nach dem Willen des Papstes in einer möglichst offenen Atmosphäre stattfinden. Es sollten "echte" und keine "formellen" Konsultationen sein.
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