Franziskus prangert die historische Unterdrückung der Ureinwohner an.
Mit starken Gesten geht der Papst während eines Besuchs in Mexiko auf die sozial engagierte und lange verschmähte Kirche der Indio-Region Chiapas zu. Befreiungstheologen sehen sich mit Franziskus im Aufwind.
Unterdrückung
Bei seiner Ankunft in Chiapas bekam Franziskus einen Stab überreicht. Das Geschenk hat in der Tradition der armen, indigen geprägten Region im Südosten Mexikos einen stark symbolischen Charakter: Den Stab trägt, wer die Indio-Völker führen soll. Kurz danach erhob sich der Papst tatsächlich zum entschiedenen Verfechter der Sache der Indios während einer Predigt in San Cristobal de las Casas.
In der symbolträchtigen Kolonialstadt im Hochland von Chiapas prangerte der Pontifex am Montag die historische Unterdrückung der Ureinwohner Mexikos an. Viele Menschen hätten Werte, Kultur und Traditionen der Indios als minderwertig abgetan, klagte der Argentinier vor etwa 100.000 überwiegend indigenen Gläubigen auf einem Sportplatz unter der Sonne von Chiapas.
"Unser Vater"
"Andere - trunken von Macht, Geld und den Gesetzen des Marktes - haben Euch Eurer Länder beraubt oder haben diese verschmutzt. Wie traurig!", sagte auch der Papst, selbst Nachkomme italienischer Einwanderer in Lateinamerika. Vielen Anwesenden schien Franziskus mit seiner Predigt aus der Seele gesprochen zu haben.
"Obwohl viele Menschen uns verachten, wolltest Du uns besuchen und hast uns wahrgenommen", dankte ein Mann dem Papst während des Gottesdienstes. Und ein indigener Priester schluchzte, als er seine Botschaft an den Papst am Mikrofon las. Den 79 Jahre alten Franziskus bezeichneten die Indios ehrerbietig als "Tatik", "unseren Vater".
Örtliche Kirche
Mit seiner Reise in die vergessene Region während seines mehrtägigen Besuchs in Mexiko rückte Franziskus aber auch die örtliche Kirche in den Fokus. Chiapas gilt als eine der ärmsten Regionen Mexikos. 1994 griff hier die linke Zapatisten-Guerillabewegung EZLN zu den Waffen, um gegen die Unterdrückung der Indios zu protestieren. Medienwirksam kritisierte damals der maskierte, als "Subcomandante Marcos" bekannte Anführer der Rebellen die Versäumnisse der Zentralregierung in der Region.
Auch die örtliche Kirche engagierte sich für die indigene Bevölkerung. Insbesondere der frühere Bischof von San Cristobal de las Casas, der 2011 verstorbene Samuel Ruiz, setzte sich für die Indios ein. Seine Arbeit in den armen Gemeinden störte aber bald die als erzkonservativ geltende katholische Führung des Landes. Auch der Vatikan missbilligte die Arbeitsmethoden Ruiz', etwa weil er Dutzende Indios zu Diakonen weihen ließ, die sich nicht immer an die strikten kirchlichen Vorgaben gehalten haben sollen.
"Bischof der Armen"
Seine Kritiker warfen Ruiz aber vor allem vor, dass er der umstrittenen Befreiungstheologie nahestand. Die in Lateinamerika entwickelte Auslegung der christlichen Theologie setzte auf einen aktiven Kampf für die "Befreiung" der Unterdrückten - teilweise wurde dafür auch die Waffengewalt unterstützt. Gegner beschimpften den linken Bischof Ruiz oft als "Comandante Samuel" wegen seiner Kontakte zu den EZLN-Rebellen in Chiapas. Die Indios nannten Ruiz dagegen "Tatik" - wie sie es jetzt auch mit Franziskus tun.
Auch der Papst zollte nun in Chiapas dem sozial engagierten Priester seinen Respekt. Während seines Besuches in der Kathedrale von San Cristobal de las Casas hielt der argentinische Jesuit am Montag nach Zeugenaussagen einen Augenblick lang vor dem Grab Ruiz' an, um des verstorbenen "Bischofs der Armen" zu gedenken. Die Geste blieb mexikanischen Medien nicht unbemerkt.
Diener des Herrn
Zum Auftakt seines Besuches in Mexiko hatte der Papst am Samstag den mexikanischen Bischöfen dagegen noch die Leviten gelesen. Die Kirche brauche keine "Fürsten", sondern Diener des Herrn, donnerte Franziskus während einer Rede in Mexiko-Stadt. Die Würdenträger forderte er auf, sich gegen das soziale Elend zu engagieren.
Der Papst mache das, weil er als Lateinamerikaner gut die Lebensumstände der Armen in dieser Region kenne, glaubt der deutschstämmige Missionar Joaquin Mnich in Chiapas. "Das spiegelt sich in seinem Pontifikat wider", sagte Mnich der Deutschen Presse-Agentur. Das Mitglied der Ordensgemeinschaft Steyler Missionare lebt seit 26 Jahren in Mexiko, die meiste Zeit hat Mnich in Chiapas verbracht. "Der Vatikan bewegt sich", urteilt er.
Befreiungstheologie
Tatsächlich sehen sich Befreiungstheologen seit dem Amtsantritt von Franziskus im Aufwind. Unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. war die Befreiungstheologie noch zurückgedrängt worden - sie war dem Vatikan zu aufrührerisch. Unter dem Argentinier Jorge Bergoglio scheint sich dies geändert zu haben.