Erdogan gegen Europa

Polit-Krieg mit Türkei eskaliert

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Nachdem die Niederlande eine türkische Politikerin ausgewiesen haben, regiert die Wut.

Dieser Streit gerät jetzt völlig außer Kontrolle: Die verbotenen Wahlkampf-Auftritte türkischer Politiker in Österreich, der Schweiz, in Deutschland und vor allem in den Niederlanden sorgen täglich für neue Eskalationsstufen.

Ministerin durfte ihr 
Konsulat nicht betreten

Die Nacht auf Sonntag markiert den bisherigen Höhepunkt: Nachdem die Niederlande dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Landung verboten, versuchte es die Familienministerin. Per Landweg wollte ­Fatma Betül Sayan Kaya von Deutschland kommend einreisen und die Wahl-Veranstaltung in Rotterdam nachholen. Auch sie wurde von der Polizei gestoppt. Es kam zur direkten Konfrontation, ihr wurde das Betreten des türkischen Konsulats verboten.

„Das akzeptiere ich nicht, ich lehne es ab. Ich fahre nicht zurück nach Deutschland“, protestierte die Ministerin in einem offenen Streit auf der Straße mit Polizisten. Die niederländischen Behörden erklärten die Politikerin zur „unerwünschten Person“. Sie wurde zur Grenze eskortiert.

Video zum Thema: Niederlande weisen türkische Ministerin aus

"Niederlande verhalten sich wie Bananenrepublik"

Der Eklat war perfekt. Die Wortmeldungen aus der Türkei fielen heftig aus:

  • Faschistisch. Finanzminister Naci Agbal meinte, Europa wolle den „Nationalsozialismus“ wieder auferstehen lassen. Das „antidemokratische“ und „faschistische“ Verhalten gegenüber der Türkei sei „inakzeptabel“.
  • „Bananenrepublik“. Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte den Niederlanden zum wiederholten Mal in diesen Tagen: „Ihr werdet den Preis dafür bezahlen.“ Später am Tag meinte er: „Die Nieder­lande verhalten sich wie eine Bananenrepublik.“
  • „Rassisten nachgeben“. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin auf Twitter: Die niederländische Regierung habe „anti-islamischen Rassisten und ­Faschisten“ nachgegeben.
  • Heftige Reaktion. Ministerpräsident Binali Yildirim drohte: Die Antwort der Türkei werde in der „schwersten Art und Weise“ ausfallen.

Attacken auf Polizisten
In der Nacht kam es zu brutalen Protesten. Mehr als 1.000 Demonstranten versammelten sich vor dem Konsulat in Rotterdam. Mit Steinen und Blumentöpfen attackierten sie die Polizisten. Diese antworteten mit Wasserwerfern und Schlagstöcken. In Istanbul drang ein Mann in das niederländische Konsulat ein und ersetzte die Flagge durch eine türkische – „Gott ist groß“ rief er dabei.

Der nächste Skandal ist vorprogrammiert: Dänemark will den Besuch des türkischen Regierungschefs nächste Woche verschieben.

Trotz Verbot: Politiker warb in Vorarlberg für die Wahl

Er wollte in Vorarlberg, Oberösterreich und Niederösterreich Werbung für das Verfassungsreferendum von Recep Tayyip Erdogan machen (siehe auch Kasten rechts), aber: Alle ­Veranstaltungen des AKP-Abgeordneten Muhammet Müfit Aydın wurden schließlich von den betroffenen Gemeinden gestoppt (ÖSTERREICH berichtete).

273.100 mit türkischem Background in Österreich
Einzig in Vorarlberg, im Büro der parteinahen UETD, hielt Aydın schließlich eine Rede, posierte mit Schildern mit der Aufschrift „Evet“ („Ja“) und verlieh mehrere Orden (siehe Foto oben). Aber: Warum wird überhaupt in Österreich wahlgekämpft?

Der Grund: 273.100 Personen mit türkischem Background leben laut Statistik Austria derzeit in Österreich. 116.000 von ihnen haben die österreichische Staatsbürgerschaft, mehr als die Hälfte die türkische. Aber: Auch von den Austro-Türken ­besitzen Zehntausende, auch wenn dies offiziell verboten ist, weiterhin den türkischen Pass – und sind damit Doppelstaatsbürger. Genau aus diesem Grund dürfen auch sie beim Erdogan-Referendum ab nächster Woche in drei türkischen Konsulaten in Wien, Salzburg und Bregenz mitwählen.

Deutlich mehr Erdogan-Fans bei Auslands-Türken
Bei der Präsidentenwahl 2014 kamen nur 9  % der türkischen Wahlberechtigten dieser Möglichkeit nach. Ein Zustand, den Erdogan unbedingt ändern will. Denn: Gerade bei den Auslandstürken hat er überdurchschnittlich viele Anhänger. 2014 entfielen eindrucksvolle 80,3  % der Stimmen aus Österreich auf ihn.

Politologe: "Streit hilft Erdogan bei Referendum"

Cengiz Günay ist leitender Forscher am Österreichischen Institut für Internationale Politik.

ÖSTERREICH: Was bringt der Streit Erdogans Referendum?

Cengiz Günay: Ich glaube, das liefert genau die Munition, die seiner lahmen Kampagne gefehlt hat. Das Ganze passt in das Konzept der türkischen Regierung.

ÖSTERREICH: Also werden jetzt mehr Leute beim Referendum für Erdogans Pläne stimmen?

Günay: Es ist zumindest die Stimmung dafür eine günstigere. Man kann damit rechnen, dass Erdogan das ausschlachten wird. Und zwar wird er nicht nur die Partei und den Regierungschef als beleidigt und brüskiert darstellen, sondern auch, dass Europa sich von seinen demokratischen Werten entfernt hat. Das kann dazu führen, dass sich viele Unentschlos­sene dann doch für ein „Ja“ entscheiden.

ÖSTERREICH: War diese Aktion inszeniert, um diesen Effekt zu erzielen?

Günay: Ich glaube, es war durchaus mitkalkuliert. Dass die Familienministerin nicht einmal in das Konsulat durfte, ist maßlos übertrieben. Dass die sich noch auf den Weg gemacht hat, nachdem der Außenminister abgewiesen wurde, lässt darauf schließen, dass sie das ins Kalkül gezogen hat. Ich glaube beide Seiten hatten ein Interesse daran gehabt. Die holländische Regierung muss sich gegenüber den Rechtspopulisten profilieren. Die türkische Regierung braucht etwas, wogegen sie mobilisieren kann. Es ist einfach Innenpolitik auf beiden Seiten.

ÖSTERREICH: Also ist dieser Polit-Streit gut für beide Seiten?

Günay: So scheint es. Schlimm ist es aber für türkischstämmige Menschen in Europa, die jetzt wieder zwischen die Fronten geraten.

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