Konflikt
Poroschenko will mit Rebellen verhandeln
22.06.2014
Im Osten des Landes wurde trotz der Waffenruhe wieder gekämpft.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat den prorussischen Separatisten im Osten des Landes Verhandlungen angeboten. In einer zwölfminütigen im Voraus aufgezeichneten Fernsehansprache, die am Sonntag ausgestrahlt wurde, sagte Poroschenko, er sei "bereit, mit denen zu diskutieren, die auf Abwegen sind, die irrtümlich separatistische Positionen eingenommen haben".
Ausgenommen davon seien jedoch Separatisten, die "Terrorakte, Morde oder Folter" begangen hätten. Grundsätzlich unterschiedliche Positionen seien "kein Hindernis für eine Teilnahme an Verhandlungen", erklärte Poroschenko.
Gefechte im Osten
Trotz der Feuerpause hat es in der Ostukraine auch am Wochenende wieder Gefechte zwischen der Armee und prorussischen Milizen gegeben. Der russische Präsident Wladimir Putin unterstützte Poroschenkos Vorstoß und forderte die Regierung in Kiew zugleich zu einem konstruktiven Dialog mit den prorussischen Kräften auf.
Kanada verhängte unterdessen weitere Strafmaßnahmen gegen prorussische Ukrainer. Der Poroschenko-Plan dürfe nicht den Charakter eines Ultimatums an die Aufständischen in der Ostukraine annehmen, erklärte Putin am Samstagabend. Jede Friedensinitiative, die nicht auf einen Verhandlungsprozess abziele, sei "weder lebensfähig noch realistisch". Putin rief die Konfliktparteien auf, "alle militärischen Aktivitäten einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen".
Putin hatte zuvor für Zehntausende Soldaten von Westsibirien bis in die Wolgaregion Militärübungen angeordnet. Die Truppen des 400 Kilometer von der Ukraine entfernten zentralen Militärbezirks seien in "vollständige Gefechtsbereitschaft versetzt" worden, zitierten russische Nachrichtenagenturen Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Die Manöver sollten bis zum 28. Juni andauern. An den Übungen, die sich auch auf Teile des Gebiets westlich des Ural erstrecken, sind laut Generalstabschef Waleri Gerassimow mehr als 65.000 Soldaten, 180 Flugzeuge und etwa 60 Hubschrauber beteiligt.
Einseitige Waffenruhe
Die von Poroschenko einseitig ausgerufene Waffenruhe war am Freitagabend in Kraft getreten. Sie soll am 27. Juni enden - dem Tag, an dem der ukrainische Präsident auf dem Brüsseler EU-Gipfel den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union unterzeichnen soll. Poroschenko sieht darin den ersten Schritt zum EU-Beitritt der Ukraine. Den politischen Teil der Vereinbarung zwischen Brüssel und Kiew hatte die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Arseni Jazenjuk Ende März unterzeichnet. Sie war nach dem von faschistischen Kräften mitbeförderten Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitschs gebildet worden.
Das ukrainische Militär meldete am Samstag Rebellenangriffe auf zwei Grenzposten in der Region Donezk. Dabei seien neun Grenzwächter verletzt worden. Die Führung der prorussischen "Volksrepublik Donezk" erklärte indes, die Ortschaft Slawjansk sei von der ukrainischen Armee aus der Luft und mit Artillerie angegriffen worden.
"Es gibt keine Waffenruhe", sagte eine Frau namens Lila Iwanowna der Nachrichtenagentur AFP im vier Kilometer von Slawjansk entfernten Dorf Andrijiwka. "Am Freitagabend haben sie geschossen und dann wieder ab vier Uhr morgens, und jetzt geht es weiter." Währenddessen waren Schüsse der ukrainischen Artillerie von einem Hügel oberhalb des Dorfs in Richtung Slawjansk zu hören.
Angriffe werden erwidert
Poroschenko hatte am Freitag gesagt, die Waffenruhe bedeute nicht, "dass wir Angriffe auf unsere Truppen nicht erwidern". Bei einem Besuch verletzter ukrainischer Soldaten am Samstag in einem Kiewer Krankenhaus bekräftigte er das. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf Kiew vor, ungeachtet des Friedensplans seinen "sogenannten Anti-Terrorismus-Einsatz zu intensivieren". Das sei "alarmierend und beunruhigend", sagte er bei einem Besuch in Saudi-Arabien.
Die von Kanada verhängten Sanktionen richten sich gegen elf russische und prorussische ukrainische Führungspersönlichkeiten sowie gegen eine Ölgesellschaft auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim. Diese war der Russischen Föderation eingegliedert worden, nachdem sich die dortige russischsprachige Bevölkerungsmehrheit für den Beitritt zu Russland ausgesprochen hatte. Kanadas konservativer Regierungschef Stephen Harper erklärte: "Russlands illegale Besatzung der Krimhalbinsel in der Ukraine gibt der internationalen Gemeinschaft weiterhin Anlass zu ernsten Bedenken".