Großbritannien
Premier Sunak 100 Tage im Amt: "Regierung versinkt im eigenen Sumpf"
29.01.2023Mit dem 42-Jährigen hofften die britischen Tories auf mehr Sachpolitik in der Downing Street nach dem Chaos unter Boris Johnson und Liz Truss
In der Schule hieße es: Versetzung stark gefährdet. Das Zwischenzeugnis für Rishi Sunak fällt äußerst kritisch aus. Seit 100 Tagen ist der britische Premierminister an diesem Donnerstag (2. Februar) im Amt, doch auf den erhofften Befreiungsschlag warten die tief im Umfrageloch steckenden Konservativen weiter. Im Gegenteil, die Stimmung auch in den eigenen Reihen scheint immer weiter zu sinken.
"Die Rückkehr des Tory-Sumpfes", titelte die Zeitschrift "Spectator", die als Hausblatt der Konservativen gilt. Oppositionschef Keir Starmer lästerte: "Fragt er sich langsam, ob dieser Job einfach zu groß für ihn ist?"
Hohe Erwartungen
Dabei war der 42-Jährige doch angetreten, um nach skandalumwitterten Jahren unter Boris Johnson und Chaoswochen unter Liz Truss die Regierung endlich wieder in ruhige Wasser zu lenken. "Integrität, Professionalität und Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen" kündigte Sunak an, als er am 25. Oktober 2022 in die Downing Street einzog - als dritter Premier innerhalb eines Jahres. Sein Bauminister Michael Gove, einer der einflussreichsten Tories, jubelte: "Die Langeweile ist zurück." Die Regierung sei fest entschlossen, "so langweilig wie möglich zu sein".
Der Auftakt gilt durchaus als geglückt. "In seinen ersten drei Monaten als Premier hat sich Sunak stabiler und pragmatischer gezeigt als seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss", sagt der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Gemeinsam mit Finanzminister Jeremy Hunt beruhigte Sunak die Finanzmärkte, die von Truss' erratischer Wirtschaftspolitik ins Chaos gestürzt waren.
Dass der Schatzkanzler - entgegen dem konservativen Dogma - dafür Steuererhöhungen ankündigte, schien wenig zu kümmern. Mit seinen Versprechen, die Schulden zu senken, Wartezeiten für Rettungswagen und in Notaufnahmen zu reduzieren und illegale Einreisen zu stoppen, nahm der neue Premier wichtige konservative Sorgen ins Visier. "Insgesamt macht Rishi einen anständigen Job, und sein Austausch mit der Fraktion ist ziemlich gut", zitierte die Zeitung "Telegraph" einen Tory-Abgeordneten.
Sunak droht zu scheitern
Doch am Thema Integrität droht Sunak bereits zu scheitern. Wie unter Johnson erschüttern Skandale das Bild in der Öffentlichkeit. Derzeit im Fokus: Tory-Generalsekretär Nadhim Zahawi. Der Ex-Finanzminister musste in einer Steueraffäre eine Millionenstrafe zahlen. Aber Zahawi ist nicht die einzige Schwachstelle im Kabinett. Gegen Vizepremier Dominic Raab, der als engster Verbündeter Sunaks gilt, läuft ebenfalls eine Untersuchung, es geht um Mobbingvorwürfe. Innenministerin Suella Braverman wurde von Sunak ins Kabinett berufen, obwohl sie nur eine Woche vorher - noch unter Truss - wegen des Bruchs von Sicherheitsvorschriften zurückgetreten war.
Sunak habe sich als schwacher Anführer gezeigt, weil er trotz der Skandale die Kabinettsmitglieder nicht entlassen oder sogar erst eingestellt habe, urteilt der Politologe Tim Bale im dpa-Gespräch. Schärfer kritisierte die "Byline Times" den Premier: "Nach drei Monaten hat er es nicht nur versäumt, sich Vertrauen zu verdienen, sondern er hat dazu beigetragen, den Ruf seiner Partei noch weiter im politischen Sumpf zu versenken als seine Vorgänger."
Unter Sunak kommen die Konservativen nicht voran. In Umfragen erreichte Labour zuletzt Werte von fast 50 Prozent, die Tories dümpeln bei 20 - ein solches Ergebnis bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl würde die konservative Fraktion wegen des britischen Mehrheitswahlverfahrens marginalisieren. Dass Sunak im Tarifstreit im öffentlichen Dienst hart bleibt, hilft ihm auch nicht. Die Sympathie der Wähler liege aufseiten der Streikenden und Sunak wirke mit seiner strikten Haltung vor allem "gemein", sagt Bale, der kürzlich ein Buch über die Konservative Partei veröffentlicht hat. "Alles in allem", meint er, "sieht es ziemlich düster aus".
Dabei gilt der Premier beileibe nicht als Alleinschuldiger. Die Lage für die Tories war schon unter Johnson miserabel. Sunak habe eine äußerst schwierige Situation geerbt, sagt Politologe Garnett. "Er hat genug getan, das darauf hinweist, dass er unter den richtigen Umständen und mit fähigen Kollegen ein erfolgreicher Premierminister hätte werden können", sagt der Experte. "Aber für das Land sieht es bestenfalls so aus, als wäre er der richtige Mann zur falschen Zeit."