Sexueller Missbrauch

Ratzinger ließ Pfarrer davonkommen

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Der Priester wurde 1980 nach schweren Vorwürfen versetzt - und verging sich weiter an Kindern.

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat endgültig den deutschen Papst Benedikt XVI. erreicht. Erst hörte Joseph Ratzinger am Freitag im Vatikan "tief erschüttert" den Bericht der deutschen Bischöfe über sexuelle Übergriffe. Dann wurde ein gravierender Fall aus seiner Amtszeit als Erzbischof von München und Freising bekannt. Damals durfte ein einschlägig vorbelasteter Priester wieder Gemeindearbeit machen, verging sich erneut an Jugendlichen und wurde dafür gerichtlich verurteilt. Am Freitagabend bestätigte die Erzdiözese diese Information der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) und räumte schwere Fehler ein.

"Mit großer Betroffenheit und tiefer Erschütterung hat der Heilige Vater meinen Bericht zur Kenntnis genommen", sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Der Freiburger Erzbischof hatte das Oberhaupt der Katholiken zuvor im Vatikan über die Fülle früherer Missbrauchsfälle informiert. Der Papst unterstütze die deutschen Bischöfen in ihrem Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch.


Vertrauen verloren
Die meisten Deutschen haben inzwischen das Vertrauen in die katholische Kirche und ihre Jugendarbeit verloren. Das ergab eine Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24. Nach der in Berlin vorgestellten Studie wirft eine große Mehrheit der 1000 Befragten - 86 Prozent - der Kirchenführung mangelnde Aufklärungsbereitschaft vor. Nur 10 Prozent glauben, die Kirche unternehme genug.

Das Bistum München und Freising räumte schwere Fehler beim Einsatz des vorbelasteten Priesters ein. 1980 sei der Priester aus dem Bistum Essen nach Oberbayern versetzt worden. Dann wurde er zur "Seelsorge-Mithilfe" in eine Münchner Pfarrei geschickt. Der frühere Generalvikar Gerhard Gruber übernehme dafür die Verantwortung. So stellte auch Vatikansprecher Padre Federico Lombardi am Freitagabend die Affäre dar. Der heute 81 Jahre alte Gruber habe die "volle Verantwortung" für den Fall übernommen, zitierte Lombardi aus einer Mitteilung der deutschen Diözese. Der Papst selbst "habe mit der Sache nichts zu tun", fügte der Vatikansprecher hinzu.

Wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt
Wie die "SZ" schreibt, saß Benedikt XVI. beim Umzug des Priesters als Erzbischof von München und Freising im Ordinariatsrat des Bistums, der dem Unzug zustimmte. Ratzinger habe allerdings nicht gewusst, dass der Mann wieder in eine Gemeinde geschickt wurde. Der versetzte Priester war 1982 bis 1985 in einer Gemeinde tätig. "Nach Bekanntwerden von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs und der Aufnahme polizeilicher Ermittlungen wurde er mit Schreiben vom 29. Jänner 1985 vom Dienst entpflichtet." Im Juni 1986 wurde der Kaplan laut Bistum wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt.

Die Reihe weiterer Vorwürfe wurde am Freitag immer länger. Im Erzbistum Paderborn belastete ein Ex-Schüler den damaligen Leiter des inzwischen geschlossenen Internats "Collegium Aloysianum". In Mainz ließ das Bistum einen vorbestraften Sexualtäter in den 70er Jahren wieder auf Schüler los. Ein ehemaliger Erzieher der Stiftsschule Amöneburg (Hessen) gestand laut Bistum Fulda, dass er 1976 zwei Internatsschüler missbrauchte. Das Bistum Würzburg beurlaubte einen weiteren Priester. Im Bistum Essen wurde ein Ex-Domkapitular wegen sexuellen Missbrauchs eines 16-Jährigen verurteilt.

"Wunden der Vergangenheit heilen"
"Wir nehmen unsere Verantwortung sehr deutlich wahr", betonte Zollitsch nach der 45-Minuten-Audienz. Doch gebe es in Deutschland Fälle weit über die Kirche hinaus. Ziel müsse es jetzt sein, "die Wunden der Vergangenheit zu heilen und mögliche neue Wunden zu vermeiden". Zollitsch bat die Opfer erneut um Vergebung.

Zollitsch reagierte auch auf eine Äußerung des Regensburger Bischofs Gerhard Müller, wonach die katholische Kirche in Deutschland die Lage selbst bewältigen könne. "Wir wollen die Wahrheit aufdecken, die Opfer haben ein Recht darauf", sagte der Erzbischof. "Wir gehen der Sache intensiv nach, aus eigener Kraft." Missbrauchsfälle seien kein spezielles Problem der Kirche, doch habe diese eine besondere moralische Verantwortung, betonte Zollitsch. Mit dem Zölibat, der Ehelosigkeit der Priester, hätten die Missbrauchsfälle nach Ansicht aller Fachleute nichts zu tun.

Grass: Zölibat muss weg
Das sieht der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass anders. Er will die katholische Kirche nicht nur per Gesetz zur umgehenden Mitteilung von Verdachtsfällen an die Staatsanwaltschaft zwingen, sondern empfahl die Abschaffung des Zölibats. Zur Wiedergutmachung erklärte Zollitsch, die Bischöfe würden beraten, ob weitere Hilfen für Opfer möglich seien. In der Aufarbeitung habe man das Vertrauen der Bundeskanzlerin und der Familienministerin. Man sei auch dabei, mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ein Gespräch zu vereinbaren. Sie hatte die Kirche scharf kritisiert. Zollitschs Termin beim Papst galt eigentlich einem routinemäßigen Bericht über die jüngste Versammlung der Bischöfe in Freiburg. Dann aber rückte der Missbrauchsskandal in den Brennpunkt.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF erklärte in Köln, strafrechtlich relevante Vorwürfe müssten konsequent polizeilich verfolgt und nicht nur "intern" behandelt werden. Die Verjährung im Zivilrecht sollte von drei auf mindestens zehn Jahre verlängert werden. Benedikt XVI. hatte vor einem Monat die tausendfachen irischen Missbrauchsfälle als "abscheuliches Verbrechen" gegeißelt. Die deutschen Bischöfe hatten den staatlichen Behörden vorbehaltlose Unterstützung bei der Verfolgung solcher Fälle zugesichert. Sie wollen zudem ihre Leitlinien für den Umgang mit Missbrauch in der Kirche klarer fassen.

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