Ein UNO-Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen das afrikanische Land.
Jahrelang hatte der ruandische Präsident Paul Kagame bei der internationalen Gemeinschaft gute Karten. Der einstige Kommandant der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), der im Sommer 1994 das Regime der Mörder von 800.000 Tutsi und gemäßigten Hutu gestürzt hatte, galt als das Gesicht des neuen Ruanda. Das Land erlebte einen bemerkenswerten Wirtschaftsaufschwung und entwickelte sich zu einem afrikanischen Musterstaat. Ein UNO-Bericht, der am 1. Oktober veröffentlicht werden soll, könnte ein ganz anderes Bild des Hoffnungsträgers zeichnen.
Ruanda empört
Ein fast 550 Seiten langer Entwurf des Berichts gelangte im August unter anderem an die Zeitung "Le Monde". Wenn sich die Endfassung des in jahrelanger Forschungsarbeit entstandenen Dokuments nicht wesentlich ändert, enthält der Bericht allerhand Sprengstoff - bis hin zur Möglichkeit, dass gegen Ruanda der Vorwurf des Völkermords erhoben werden könnte. Rund 600 Fälle von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen listet der Entwurf auf, begangen vor allem an der aus Ruanda geflüchteten oder im Ostkongo lebenden Hutu-Bevölkerung.
Die ersten Reaktionen aus der ruandischen Hauptstadt Kigali auf die Veröffentlichung waren heftig. Die Vorwürfe hätten keinerlei Grundlage, empörte sich Justizminister Tharcisse Karagurama. Ein Regierungssprecher nannte den Bericht "empörend, unmoralisch und inakzeptabel". Vorübergehend drohte die ruandische Führung sogar mit dem Abzug ihrer mehr als 3.300 Soldaten bei den Friedenstruppen von UNO und Afrikanischer Union in der westsudanesischen Konfliktregion Darfur. Davon nahm Ruanda inzwischen Abstand. Die Veröffentlichung des Berichts, der schon vor Monaten fertig gewesen sein soll, wurde einmal mehr auf Oktober verschoben, um Ruanda Zeit für eine Stellungnahme zu geben.
Mörder blieben ungeschoren
In dem Bericht geht es um Vorfälle nach dem Völkermord in Ruanda. Hunderttausende ruandischer Hutu flüchteten 1994 in den benachbarten Kongo, der damals noch Zaire hieß. Unter ihnen verbargen sich auch Mitglieder der Interahamwe, jener Hutu-Milizen, die 100 Tage lang ihre Tutsi-Landsleute regelrecht abgeschlachtet hatten.
Die Mörder blieben ungeschoren. Bis ruandische Truppen im Oktober 1996 im Kongo einmarschierten, zusammen mit ihrem kongolesischen Verbündeten Laurent Kabila, Vater des heutigen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila und Führer der Rebellengruppe "Allianz der demokratischen Kräfte für die Befreiung des Kongo". Die ruandischen Truppen lösten die Hutu-Flüchtlingslager auf, versprachen den Menschen eine sichere Umsiedlung nach Ruanda.
BBC Lizenz entzogen
Menschenrechtsorganisationen, die in den Flüchtlingslagern arbeiteten, schlugen schon damals Alarm. In dem Entwurf des UNO-Berichts, der auf Gesprächen mit fast 1.300 Zeugen basiert, ist von systematischer Gewalt mit vermutlich mehreren zehntausend Opfern die Rede. Angehörige der Hutu-Bevölkerung seien systematisch gejagt und getötet worden, viele Frauen wurden dem Bericht zufolge vergewaltigt.
Kongolesische und ruandische Hutu seien an Straßensperren festgenommen und zu Tode geprügelt worden - ähnlich wie im Frühjahr 1994 die Tutsi in Ruanda. "Die Mehrheit der Opfer waren Kinder, Frauen, alte und kranke Menschen, die oft unterernährt waren und keinerlei Bedrohung für die Truppen darstellten", heißt es in dem Entwurf.
Der Vorwurf, dass auch die RPF Kriegsverbrechen begangen habe, ist nicht neu - und wird in Ruanda gerne als Geschichtsrevisionismus und Leugnung des Völkermords auch juristisch bestraft. Als der britische Sender BBC in der Landessprache Kiruanda auch Zeugen von Verbrechen an ruandischen Hutu zu Wort kommen ließ, wurde dem Programm die Lizenz entzogen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen der ruandischen Regierung vor, mit dem Vorwurf der Leugnung des Völkermords Oppositionelle systematisch mundtot zu machen.