Banker unter Druck

Sarrazin droht doppeltes Aus

30.08.2010

Die SPD bereitet Parteiausschluss vor, die Bundesbank sieht den Betriebsfrieden gefährdet.

Zur Vollversion des Artikels
© Reuters
Zur Vollversion des Artikels

Nach der heftigen Kritik an seinen Thesen zu Einwanderungs- und Integrationsthemen drohen Thilo Sarrazin nun der Rausschmiss aus der SPD und die Abberufung als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Die SPD-Spitze beschloss am Montag in Berlin, ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin einzuleiten. Die Bundesbank teilte mit, Sarrazin habe mit seinen Äußerungen den Betriebsfrieden gestört.

"Der Vorstand der Bundesbank stellt fest, dass die Äußerungen von Dr. Sarrazin dem Ansehen der Bundesbank Schaden zufügen", erklärte die Bundesbank. Der Vorstand werde mit Sarrazin sprechen und zeitnah über weitere Schritte entscheiden. Ob Sarrazin gegen den Verhaltenskodex der Bundesbank verstoßen hat, ließ der Vorstand allerdings offen. Von einem Abwahlantrag - wie ihn Politikern aller Parteien forderten - war ebenfalls nicht die Rede. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bezeichnete dies als "unverständlich".

SPD will ihn ausschließen
Die SPD scheint dagegen fest entschlossen zu sein, Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Der Vorsitzende Sigmar Gabriel rügte dessen Thesen als teilweise rassistisch. Zu dem angestrebten Ordnungsverfahren, das in etwa einer Woche beginnen soll, gebe es keine Alternative. "Wir wollen nicht, dass seine Argumentation zum sozialdemokratischen Meinungsspektrum gehört", sagte Gabriel. Sollte die zuständige Schiedskommission zu dem Ergebnis kommen, dass Sarrazin gegen die Statuten, die Grundsätze oder die interne Ordnung der SPD verstoßen hat, drohen ihm eine Rüge als mildeste Sanktion und der Parteiausschluss als schärfste Strafe.

Sarrazin selbst sagte am Montag erneut, für eine Abberufung als Bundesbank-Vorstand oder einen Parteiausschluss sehe er keinen Grund. Bei der Präsentation seines Buch "Deutschland schafft sich ab" räumte er vor gut 200 Journalisten und dutzenden Kamerateams ein, "wertende Zuspitzungen" benutzt zu haben. Er habe aber weder diffamierend noch unsachlich argumentiert. Seinen Kritikern warf der einstige Berliner Finanzsenator vor, sich zu empören, ohne sein "sehr ausgewogenes" Buch gelesen zu haben.

Sarrazin verteidigt sich
Zugleich bedauerte Sarrazin "Irritationen und Missverständnisse" nach seiner Interview-Äußerung über die Gene von Juden. Sein Verlag zitierte ihn am Montag in einer Mitteilung: "Eine Interview-Äußerung von mir vom 29. August 2010 hat für Irritationen und Missverständnisse gesorgt, die ich bedauere. Als ich sagte, dass "alle Juden ein bestimmtes Gen teilen", habe ich mich nicht hinreichend präzise ausgedrückt."

Neue genetische Forschungen zeigten, dass viele heutige Juden zahlreiche Gene von einer ursprünglichen jüdischen Bevölkerungsgruppe, die vor etwa 3000 Jahren im Nahen Osten lebte, gemeinsam haben. Diese These sei politisch neutral, es handele sich nicht um eine rassistische Äußerung, fügte Sarrazin hinzu.

Bei der Vorstellung seines neuen Buches einige Stunden zuvor hatte Sarrazin nur gesagt: "Neue Untersuchungen offenbaren die gemeinsamen genetischen Wurzeln der heute lebenden Juden. Das ist ein Faktum." Daraus ergäben sich aber weder negative noch positive Zuschreibungen. "Insofern bin ich mit dem Begriff jüdische Gene völlig unbefangen umgegangen, nämlich ganz normal, das mag der Fehler sein. Das war aber auch der einzige."

Die Kritik an Sarrazins Äußerungen riss derweil nicht ab. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, das weltweit hohe Ansehen der Bundesbank sei beschädigt. Die FDP kritisierte Sarrazins Einlassungen als "unverantwortlichen Biologismus". Die Linke warf ihm vor, sich "in die Nähe von Nazi-Ideologien" zu begeben. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, Tom Koenigs (Grüne), bezeichnete Sarrazin als "Brandstifter", der von einem "tiefen Anti-Islamismus" geprägt sei.

Rückendeckung erhielt Sarrazin von der türkischstämmigen Autorin und Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek und dem jüdischen Publizisten Henryk M. Broder. Kelek sagte, Sarrazin tauge nicht als Feindbild. Seine "biologistischen" Erklärungsversuche habe aber auch sie als "diffamierend" empfunden. Broder bezeichnete die Kritik an Sarrazin als "Hexenjagd". Provokation sei in Deutschland nur geschätzt, wenn sie sich eng an die Regeln der political correctness halte.

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, nannte Sarrazins Äußerungen dagegen "kulturrassistisch" und warnte vor einem neuen "intellektuellen Rassismus". Der Publizist und frühere stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Michel Friedman, sagte, Sarrazins "biologistischen Argumente" demotivierten Millionen Menschen. Man brauche Brückenbauer und keine Hassprediger.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel