Weltpresse
"Schlawiner Schüssel gewinnt Poker"
08.01.2007
Internationale Medien kommentieren am Montag die Einigung von SPÖ und ÖVP auf die künftige österreichische Regierung überwiegend als Sieg für die Volkspartei.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung":
"Alfred Gusenbauer
ist am Ziel seines angeblich schon im Sandkasten geäußerten Wunsches
angekommen: Er wird österreichischer Bundeskanzler. Die Eroberung des
Ballhausplatzes hat dem SPÖ-Vorsitzenden einiges an Kraft, Ausdauer,
Zugeständnissen und Selbstverleugnung abverlangt. (...) Wie hoch der Preis
für die Rückkehr an die Macht war, wird man erst ermessen können, wenn die
Details des Koalitionsvertrags bekannt sind. Allem Anschein nach hat es sich
für Schüssel und die ÖVP aber ausgezahlt, sich erst zu verweigern und dann
quasi auf roten Samthandschuhen in die Regierung tragen zu lassen. So steht
der Wahlverlierer des 1. Oktober 2006 nach dem hunderttägigen
Verhandlungspoker doch wieder als Gewinner da. Nicht von ungefähr unken die
oppositionellen Grünen bereits über eine "schwarze Regierung mit rotem
Kanzler".
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Und wieder
dreht sich alles um: Wahl gewonnen, Koalitionsverhandlungen verloren. So
raunten sich am Montag in den Säulenhallen des Wiener Parlaments die
Beobachter bei der Verkündigung des neuen Bündnisses zu. Die alte
Kanzlerpartei ÖVP hatte den Verlust der Führungsrolle lange Zeit nicht
akzeptieren wollen. Konsequent hat sie nun ihre Haut teuer verkauft, da für
die Sozialdemokraten kein anderer Bündnispartner für eine Mehrheit im
Parlament blieb."
"Dresdner Neueste Nachrichten":
"Anders als in
Deutschland will in Österreich der Altkanzler auch in der Großen Koalition
einfach weitermachen. Im Regierungsprogramm hat Wolfgang Schüssel schon fest
das ÖVP-Erbe verankert und als möglicher mächtiger Finanzminister könnte dem
Schlawi(e)ner Schüssel egal sein, wer unter ihm Regierungschef ist. Keine
schlechte Position, um das Wunschkonzert der Sozialdemokraten abzublasen.
Denn statt die kraftstrotzende Austria-Konjunktur zu pflegen, droht der
Verlegenheitskanzler Gusenbauer in den alten SPÖ-Trott zu verfallen: Man
verteilt Geschenke und gibt reichlich Geld aus.
Tanjug (Belgrad):
"SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hat das Kanzleramt
erhalten, die ÖVP des bisherigen Regierungschefs Wolfgang Schüssel dafür
aber die wichtigsten Ressorts. Die Sozialdemokraten haben auf viele
Wahlversprechen verzichtet und der ÖVP überraschend neben dem
Finanzministerium auch das Innenressort überlassen." Die serbische
Nachrichtenagentur erwähnt die Abschaffung der Studiengebühren als eines
jener Wahlversprechen, auf das die SPÖ nun verzichtet habe. Beim Eurofighter
sei vereinbart worden, die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses
abzuwarten.
dpa (Hamburg):
"Anders als das Berliner Regierungsbündnis soll
die Wiener Regierung von einem Sozialdemokraten geführt werden. Doch der
46-jährige SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wird sich bei der Umsetzung der von
ihm im Wahlkampf propagierten Reformvorhaben schwer tun. (...) Bei der
gleichen Zahl von Ministern im Kabinett besetzt die Fraktion von
(Ex)-Kanzler Wolfgang Schüssel das Außen- Innen-, Finanz und
Wirtschaftsministerium. Genug, um sich bis 2010 beim Wähler zu profilieren.
(...) Schüssel, der in den vergangenen Monaten zunehmend kritisiert worden
war, kann mit dem ausgehandelten Programm mehr als zufrieden sein. Denn in
den entscheidenden Punkten hat sich die ÖVP klar durchgesetzt."
AFP (Paris):
"Die Aufteilung der Ressorts, obgleich zahlenmäßig
ausgeglichen, zeigt sich ungleich in Hinblick auf die Bedeutung der
Ministerien. Die Sozialdemokraten haben den Kanzler, weil ihre Partei die
Wahlen gewonnen hat, aber die Konservativen haben die Schlüsselministerien
Finanzen, Äußeres, Wirtschaft und Arbeit sowie Inneres erhalten. Der Linken
bleiben nur Bildung, Justiz, Soziales und Verteidigung."
Reuters (London):
"Schüssel, der beim Urnengang mehr als ein
Viertel seiner Wähler verlor, hat sein Verhandlungsgeschick bewiesen, indem
er sich das Finanz-, Außen- und Wirtschaftsministerium sicherte und einige
von Gusenbauers Wahlversprechen abblockte."