Schwarze Schafe raus
Schweizer entscheiden über kriminelle Ausländer
23.02.2016
Streit unter Eidgenossen: Muss sich das Land wirklich das härteste Ausländergesetz Europas zulegen?
Selten ist in der Schweiz so heftig gestritten worden: Muss sich das Land wirklich das härteste Ausländergesetz Europas zulegen? Sollen straffällig gewordene Nichtschweizer automatisch ausgewiesen werden?
"JA zur Ausschaffung krimineller Ausländer"
Noch simpler hätte man die Forderung kaum rüberbringen können: Ein weißes Schaf auf der roten Fahne mit dem Schweizer Kreuz befördert ein schwarzes Schaf mit einem kräftigen Hinterteil-Tritt nach draußen. "JA zur Ausschaffung krimineller Ausländer", steht auf Postern neben den beiden Schafen. Die rund fünf Millionen wahlberechtigten Eidgenossen sollen entscheiden: Sollen straffällig gewordene Nichtschweizer automatisch des Landes verwiesen werden? Raus mit den "schwarzen Schafen", ohne Wenn und Aber - und ohne dass Richter bei eventuellen Härtefällen eine Ausnahme verfügen dürften?
Härtestes Ausländergesetz Europas
Das wäre dann das härteste Ausländergesetz Europas. Was sich beinahe anhört wie ein Pegida-Slogan in Deutschland, kommt bei den Eidgenossen von der schon seit Jahren stärksten Partei des Landes. "Endlich Sicherheit schaffen!", fordert die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP). Erst im vergangenen Oktober hat sie erneut Parlamentswahlen gewonnen. In der Berner Koalitionsregierung stellt sie zwei der sieben Minister.
Beim Volksentscheid über ihre sogenannte "Durchsetzungsinitiative" zur automatischen Ausweisung krimineller Ausländer könnte die SVP nun laut Meinungsumfragen erneut eine Mehrheit bekommen - wenngleich wohl nur eine sehr knappe. Nach den Vorstellungen der Rechtsnationalen sollen Ausländer bei schweren Verbrechen, unabhängig vom Strafmaß, sofort ihr Aufenthaltsrecht verlieren.
Dazu sollen neben Mord und Totschlag auch Drogenhandel und sexuelle Nötigung, aber auch schon Sozialmissbrauch zählen. Ebenfalls auszuweisen wären Wiederholungstäter bei leichteren Straftaten - darunter einfache Körperverletzung, Hausfriedensbruch oder Drohungen gegen Beamte.
Gilt auch für in der Schweiz geborene Nachkommen
Gelten soll das auch für in der Schweiz geborene und aufgewachsene Nachkommen von Einwanderern, die nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft haben, sogenannte Secondos. Bisher können Richter in Härtefällen von Ausweisungen absehen. Mit der SVP-Initiative würden jedoch Einzelfallprüfungen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung weitgehend entfallen. Gegner der Initiative machen geltend, dass dies gegen europäische Rechtsgrundsätze verstoße, zu denen sich die Schweiz im Rahmen bilateraler Verträge mit der EU bekannt habe.
Das Spiel mit der Angst
Allerdings hat im Abstimmungskampf der SVP das Angstmachen Methode. In einem kostenlosen "Extrablatt" schildert SVP-Präsident Toni Brunner die Lage so: "Viele Menschen, vor allem Frauen, aber auch ältere Menschen oder Jugendliche, haben Angst vor Gewalt und Verbrechen und trauen sich deshalb kaum mehr aus dem Haus oder meiden nach dem Eindunkeln bestimmte Straßenzüge oder ganze Quartiere!" Die Schuldigen stehen fest: "Die meisten der Gewaltverbrechen wie zum Beispiel Vergewaltigungen werden von Ausländern verübt!"
Die Schweiz, überflutet von kriminellen Fremden und gefährlicher als einst die Bronx? Wer das glaubt, kann der SVP-Initiative eigentlich nur zustimmen. Allerdings: Sämtliche anderen Parteien des Landes, die Grünen, die Sozial- und Christdemokraten ebenso wie die Bürgerlich-Liberalen, weisen die Forderung strikt zurück. 120 Rechtsprofessoren und mehr als 270 amtierende sowie einstige Abgeordnete haben ein Gegen-Manifest unterzeichnet.
Und die Medien nehmen SVP-Argumente in "Faktenchecks" auseinander. Zum Beispiel die im Abstimmungskampf von der SVP vorgelegte Statistik, wonach die Zahl der verurteilten ausländischen Straftäter seit Mitte der 1980er Jahre von 14.000 auf inzwischen 57.000 pro Jahr gestiegen sei - im Vergleich zu 42.000 verurteilten Schweizern.
Diese Zahlen seien zwar an sich richtig, befand der Zürcher "Tages-Anzeiger". Jedoch hätten von den 2014 verurteilten 57.000 Ausländern lediglich 24.000 in der Schweiz gewohnt. "Die Mehrheit der Delikte wird von Ausländern begangen, die nicht zur Wohnbevölkerung gehören", konstatierte das Blatt. Abgesehen von der "eigenen" Ausländerkriminalität ist die Wohlstandsinsel Schweiz seit Jahren damit konfrontiert, dass Kriminelle aus Nachbarländern zu Raubzügen über die Grenzen kommen.
Kritik: Kriminaltouristen keine Migranten
"Ein Großteil der durch Ausländer begangenen Delikte wird durch Kriminaltouristen begangen", erklärt Stefan Egli vom "Komitee gegen die Durchsetzungsinitiative", dem 54 Nichtregierungsorganisationen angehören. "Einen Kriminaltouristen interessiert es nicht, ob er die Schweiz nicht mehr betreten darf, wenn er sowieso illegal und nur hier ist, um Einbrüche zu begehen." Die SVP-Initiative sei "nichts anderes als eine Scheinlösung mit gravierenden Nebenwirkungen".
Die schlimmste "Nebenwirkung" sehen Gegner darin, dass die SVP-Initiative im Falle der Annahme unmittelbar anzuwendendes Recht wäre. Weder das Parlament noch die Gerichte könnten dann noch etwas am Abschiebe-Automatismus ändern. Davon wären zwar durch Bestimmungen der Schweizer Verfassung auch künftig Kriegsgebiete sowie Staaten ausgenommen, in denen Abgeschobenen Folter oder eine andere Art unmenschlicher Behandlung droht. Dennoch machen Gegner der Initiative grundsätzliche politische und rechtliche Bedenken geltend.
So erklärt der Bundesrichter Thomas Stadelmann, ein Volksentscheid, der Minderheits- und Individualrechte missachte oder gar beseitige, sei "nicht mit dem bisher geltenden Konzept der Schweizerischen Demokratie vereinbar". In einem viel beachteten Beitrag für die "Schweiz am Sonntag" erklärte der Richter am obersten Gericht der Eidgenossenschaft, am 28. Februar gehe es um weit mehr als um juristische Fragen der Verhältnismäßigkeit bei der Ausweisung krimineller Ausländer - nämlich um "nicht weniger als die Zukunft der Demokratie".